Herodot Hauptseite arpa Themen Datenbank Kontakt Arpa Anzuhören


Die Musen des Herodotus von Halikarnassus.

Übersetzt von Dr. J. Chr. F. Bähr.


Zweites Buch. Euterpe.


Einleitung zum zweiten Buch.

Die in diesem Buche weiter fortgesetzte Erzählung der auf den Tod des Cyrus (I, 214), womit das erste Buch schließt, im persischen Reiche folgenden Ereignisse führt den Vater der Geschichte auf Kambyses, den Sohn und Nachfolger des Cyrus, und damit auch zugleich auf Ägypten, insofern Kambyses bald nach seiner Thronbesteigung nach diesem Lande sich wendete, das, nachdem fast ganz Asien der persischen Herrschaft unterworfen war, noch nicht bezwungen worden und doch durch seine Reichtümer und durch seine Bedeutung überhaupt die Blicke des persischen Herrschers unwillkürlich auf sich ziehren mußte. Daher beginnt das zweite Buch mit diesem Kriegszuge des Kambyses wider Ägypten, und ward derselbe auch gewiß bald nach dem traurigen Ende des Cyrus und der Thronbesteigung des Kambyses unternommen, also wohl um das Jahr 527 v. Chr., wenn wir den Tod des Cyrus in das Jahr 529 v. Chr. (s. die Note zu I 214) verlegen. Dieser Zug des Kambyses, dessen eigentlichen Verlauf wir erst später, im dritten Buche, erzählt finden, veranlaßt aber den Geschichtschreiber schon jetzt, bei der ersten Erwähnung desselben, diese Gelegenheit gleichsam zu ergreifen und seinen Lesern vor allem, ehe er über den in dieses Land zu dessen Unterwerfung unternommenen Kriegszug berichtet, ein Bild dieses Landes selbst vorzuführen, hier also ebensowohl die eigentümliche Beschaffenheit der Natur des Landes, wie die eigentümlichen Sitten seiner Bewohner und die Merkwürdigkeiten des Landes, zunächst die Wunderwerke der Baukunst zu schildern und überhaupt seinen hellenischen Lesern alles dasjenige mitzuteilen, was er während seines Aufenthaltes io diesem Lande entweder selbst gesehen und wahrgenommen, oder was er dort von anderen, zunächst den Gebildeten des Landes, den Priestern, darüber vernommen hatte. Und diese Beschreibung, welche das ganze zweite Buch füllt, das wir mithin als eine große Episode betrachten dürfen, welche der geschichtlichen Erzählung, die der Zweck des Ganzen war, eingeschaltet ist, wird hier in einer Ausdehnung gegeben, welche sich aus der Bedeutung des Landes, das schon früh die Blicke der Hellenen auf sich gezogen hatte, ebenso erklärt wie aus dem Bestreben des Geschichtschreibers, über dieses Wunderland, das selbst als letzte Quelle der hellenischen Religion und Kultur schon damals angesehen ward, seinen Landsleuten ebenso genaue wie zuverlässige Nachrichten mitzuteilen und so ihren Wissensdurst zu befriedigen. Versichert er doch selbst (II, 35), darum über Ägypten ein Mehreres zu berichten, weil es mehr Wunder enthalte und größere Werke zeige als jedes andere Land. Zwar hatte schon früher Hekatäus von Milet, der nächste Vorgänger des Herodot, in seine fast die ganze damals den Hellenen bekannte Welt umfassende Erdbeschreibung auch Ägypten aufgenommen; indessen, wenn wir die Art und Weise, in welcher Herodot dieses seines nächsten Vorgängers einigemal gedenkt, in Betracht ziehen und den Tadel, den er an mehreren Orten in etwas herber Weise über Hekatäus ausspricht[1] , erwägen, so scheint doch die Darstellung des Hekatäus keine allgemein befriedigende gewesen zu sein und mochte eben deshalb Herodot sich veranlaßt finden, die Eigentümlichkeiten und Merkwürdigkeiten Ägyptens in einer genaueren und der Wahrheit entsprechenderen Weise darzustellen, um so eine richtige Anschauung Ägyptens und eine gerechte Würdigung desselben zu veranlassen.

In dieser Beschreibung des Landes Ägypten, wie sie uns hier geboten wird, lassen sich bequem zwei Teile unterscheiden: der eine hat es mehr mit der Naturbeschaffenheit des Landes und was alles dazu gehört, zu thun, der andere ist geschichtlichen Inhalts; und wenn jener Teil großenteils aus eigener Anschauung und Beobachtung geschöpft ist, so beruht der andere auf den Mitteilungen, welche Herodot von den Priestern, dem einzigen gebildeten Stande des Landes, einzuziehen nicht versäumt hat.

In jenem Teile ist es zunächst die eigentümliche, von der hellenischen Natur so ganz abweichende Beschaffenheit des Bodens und der dadurch veränderte Charakter des Landes selbst, was die Aufmerksamkeit des Geschichtschreibers in Anspruch nimmt und insbesondere seine Aufmerksamkeit dem merkwürdigen Strome zuwendet, von welchem die Existenz des Landes wie seiner Bewohner abhängt: der jährlichen Überschwemmung des Nil, seinen Quellen wie seinen Mündungen — lauter Gegenstände, die dem, was der Grieche an seinen Flüssen wahrnahm, so ungleich, so verschieden sind — wird eine nähere Erörterung gewidmet; die Pflanzen und Tierwelt, zumal die letztere, die von der hellenischen gleichfalls in vielem so verschieden ist, wird mit in den Bereich der Beschreibung gezogen, die diesen Tieren gezollte Verehrung, die ebenfalls von den Ansichten der Hellenen so sehr abweicht, dabei insbesondere berücksichtigt, und an diese Schilderung der Natur reiht sich dann auch die Darstellung der ägyptischen Menschheit in ihrer ganzen, von der hellenischen so vielfach abweichenden Lebensweise, in ihren eigentümlichen, ebenso abweichenden. Sitten und Gebräuchen, insbesondere der Totenbestattung, welche in der genauen Beschreibung der Einbalsamierung uns näher dargestellt wird. Und bei dieser Schilderung der ägyptischen Menschheit vergißt er auch nicht, der großen Werke zu gedenken, welche die bewundernswürdige Thätigkeit dieses Volkes geschaffen hat, Werke, die in ihrer Größe alles überbieten, was die griechische Welt je hervorbrachte, und darum die Aufmerksamkeit des Geschichtschreibers insbesondere auf sich ziehen mußten: wir meinen die großen Werke der Baukunst, die noch jetzt unsere volle Bewunderung erregen, da selbst nach Jahrtausenden der zerstörende Zahn der Zeit sie nicht zu vertilgen vermocht hat: die gewaltigen Tempel mit ihren Obelisken, Sphinxen und Kolossen, die Monolithen, die Pyramiden, das Labyrinth, die Verbindung des Nil mit dem Roten Meere durch einen Kanal, wie die Anlage des Sees Möris und anderes derart, lauter Werke, die, soweit sie noch jetzt vorhanden sind, die Wahrheit und Richtigkeit, ja Genauigkeit der Angaben des Geschichtschreibers durch den Augenschein jetzt noch bekunden und für die Schärfe seiner Beobachtung, wie sie auch aus der Beschreibung naturhistorischer Gegenstände sich ergiebt, ein sprechendes Zeugnis abgeben. Die meist sehr genaue und detaillierte Beschreibung dieser auch in den Augen der Hellenen so bewundernswürdigen Werke ist übrigens passend in Verbindung gebracht mit dem geschichtlichen Teile, insofern sie an die Geschichte der Könige angereiht ist, welche diese Werke haben ausführen lassen.

Fragen wir nun nach der Quelle alles dessen, was in diesem mehr naturhistorischen oder ethnographischen Teile des Ganzen uns mitgeteilt wird, so sind wir zunächst, wie oben bemerkt worden, auf die unmittelbare, eigene Beobachtung und Wahrnehmung des Geschichtschreibers gewiesen: er hatte die Reise dahin selbst unternommen, wahrscheinlich auf einem griechischen Handelsschiff, und war zu Naukratis, dem für den griechischen Handelsverkehr bestimmten Orte (ll, 178 ff.), ans Land gestiegen; er hatte von dort aus ganz Ägypten bis zu seiner südlichsten Grenze (vgl. II, 29) durchreist, auf dem Nil fahrend, als der gewöhnlichen Art des Fortkommens, wie selbst daraus erhellt, daß er die Entfernungen der Orte nach den Tagfahrten auf dem Nil bestimmt (s. II 5; 8; 9; 29; 30; 31); er hatte also alles selbst und mit eigenen Augen gesehen und beobachtet, und war vielfach mit den Ägyptern in persönlichen Verkehr getreten, und wenn er auch selbst der Landessprache nicht mächtig war, so war, auch abgesehen von den damals in Ägypten schon zahlreicher angesiedelten Griechen, mit welchen Herodot sich in Verbindung setzen konnte, dafür hinlänglich durch die Dolmetscher gesorgt, welche eine eigene Kaste der ägyptischen Bevölkerung bildeten (II, 125; 154; 164) und wohl auch den Herodot auf seiner Reise wie bei dem Besuch der einzelnen Sehenswürdigkeiten begleiteten, wie dies unter anderen gelegentlich bei dem Besuche der Pyramiden von ihm selbst ausdrücklich versichert wird (s. II, 125). Es fällt aber die Reise des Herodot durch Ägypten in die Zeit der persischen Herrschaft, nicht vor das Jahr 454 v. Chr., wie schon oben (Band I, S. 5) bemerkt worden, eher einige Jahre nachher, etwa um 450 v. Chr.; durch die persische Herrschaft war in dem Lande selbst, in den Sitten und Gebräuchen der Bewohner, im allgemeinen auch in den politischen Einrichtungen desselben kaum eine wesentliche Änderung eingetreten, außer daß an die Stelle des Pharao nun ein persischer Gouverneur oder Satrap getreten war, der das Land im Namen des Großkönigs von Persien regierte, die dem Großkönig zu entrichtenden Steuern einzog und durch persische Garnisonen die Hauptpunkte des Landes besetzt hielt. Der Verkehr der Ägypter mit den Hellenen, schon unter den letzten Landeskönigen begünstigt, war unter der persischen Herrschaft, welch eder früheren strengeren Abgeschlossenheit des Landes ein Ende gemacht hatte, wenn sie auch gleich in allem anderen die Ägypter in ihren herkömmlichen Sitten beließ, lebendiger geworden und dadurch gewiß auch dem Geschichtschreiber die Reise nach Ägypten wie durch dasselbe erleichtert worden. Und diese Förderung seines Unternehmens hat der Geschichtschreiber gewiß in jeder Weise benutzt, um über alles, was ihm auffiel, befriedigende Erkundigung einzuziehen, wiewohl das meiste immer auf der eigenen Beobachtung und Wahrnehmung beruht, deren Genauigkeit und Schärfe wir schon oben hervorgehoben haben. Wir erinnern hier an seine genaue Beschreibung der verschiedenen, ihm, dem Hellenen, so auffallenden Erscheinungen der ägyptischen Tierwelt, z. B. des Krokodils (ll, 68 ff.), des Nipferdes (ll, 71), des Ibis (II, 76), und werden ebendahin auch die Beschreibung des Phönix (ll, 73) rechnen dürfen, da sie, wie der Geschichtschreiber ausdrücklich versichert, nur dem Bilde des Vogels entnommen ist, das er selbst damals in den Tempeln ebenso erblickte, wie wir es noch heutzutage auf ägyptischen Denkmälern erblicken. Mit welcher Genauigkeit schildert er z. B. nicht das Leben der Bewohner in den Niederungen des Delta (II 92 ff.) oder die in Ägypten herrschende und bei allen Gestorbenen in Anwendung gebrachte Sitte der Einbalsamierung (ll, 86 ff.); und selbst das, was er über die ursprüngliche Bildung des Landes (II, 13 ff.) oder über die Überschwemmung des Nil, das für das Laus selbst so wichtige Phänomen, bemerkt, auf eigene Beobachtung gestützt und zum Teil im Widerspruch mit den von anderen Griechen darüber ausgesprochenen Ansichten (II, 19 ff.), nachdem er von den Landesbewohnern selbst darüber nichts Befriedigendes zu vernehmen vermocht hatte, kann von dem gründlichen Forschergeiste des Mannes Zeugnis geben, der mit einer oberflächlichen Auffassung der wahrgenommenen Erscheinungen sich nicht begnügt, sondern allem auf den Grund zu kommen sucht. Und wenn er über die Quellen des Nil (ll, 28 ff.) nichts Sicheres in Erfahrung bringen konnte, sondern sich begnügen muß das mitzuteilen, was er von den Eingeborenen darüber vernahm, ohne selbst dadurch sich befriedigt zu fühlen, so werden wir wohl den Forscher des Altertums entschuldigen dürfen, der das noch nicht zu ermitteln im stande war, was selbst in unserem Zeitalter, ungeachtet aller der zahlreichen Forschungen und Reisen, wie sie in das Innere Afrikas unternommen worden sind, bis vor kurzem noch nicht zur völligen Evidenz gebracht war. Wenn wir demnach alle Ursache haben, die Schärfe der Beobachtung zu bewundern und ebenso auch der Treue und Wahrheitsliebe uns zu erfreuen, mit welcher der gewissenhafte Geschichtschreiber uns alles so mitteilt, wie er es selbst gesehen und befunden, so wird dieses günstige Urteil kaum anders sich stellen, wenn wir zu dem anderen Teil seiner Nachrichten über Ägypten, zu dem geschichtlichen, uns wenden, der allerdings mehrfache Beanstandung gefunden und selbst harte Urteile hier und dort über den Geschichtschreiber hervorgerufen hat, so wenig er auch, wie wir glauben, dieselben verdient hat, indem er auch hier, wenn man nur seine eigenen Versicherungen etwas näher ins Auge faßt, mit gleicher Gewissenhaftigkeit in allem dem, was er berichtet hat, verfahren ist, und am allerwenigsten den Vorwurf der Leichtgläubigkeit und des blinden Vertrauens in die Mitteilungen anderer, die ihn zu täuschen beabsichtigt, verdient. Es zeigt sich aber diese große Gewissenhaftigkeit des Geschichtschreibers vor allem in der Angabe der Quellen, aus welchen seine Berichte geschöpft sind, die keineswegs darauf Anspruch machen, eine vollständige Geschichte des Landes in ununterbrochener Reihenfolge der Herrscher, die es regiert, darzulegen, sondern nur über einzelne dieser Herrscher zu berichten, welche einen besonderen Namen sich gewonnen und in dem Munde der Ägypter selbst deshalb so sehr gefeiert waren (wie z. B. Sesostris-Ramses), oder deren Name mit an die großen Werke der Baukunst geknüpft ist, welche die Bewunderung des Geschichtschreibers wie der Ägypten besuchenden Hellenen ganz besonders erregt hatten, wie z. B. die Könige, welche die Pyramiden erbaut hatten, oder auch solche Herrscher, welche in die hellenische Sage; hereingezogen worden waren, wie z. B. ein Proteus oder ein Rhampsinit, die daher hellenische Leser vorzugsweise interessierten; wie denn überhaupt bei dem Ganzen dieser geschichtlichen Mitteilungen die Rücksicht auf Hellenen und hellenische Leser nirgends außer acht gelassen werden darf, ebenso wie bei dem, was im ersten Teile Naturgeschichtliches berichtet oder über die Sitten, Gebräuche und Lebensweise der Ägypter erzählt wird, immer an den Gegensatz zur hellenischen Natur und zur hellenischen Sitte zu denken ist, und gerade dann ein Hauptgrund der Mitteilung zu suchen ist, die vorzugsweise über das sich verbreitet, worin diese Gegensätze hervortreten. Man darf also in diesem geschichtlichen Teile nichts weniger als eine vollständig durchgeführte Landesgeschichte erblicken und darum auch nicht eine völlige Übereinstimmung mit dem erzielen wollen, was durch die Manethonischen Königslisten oder durch die an den Monumenten der Ägypter gefundenen und glücklich entzifferten Königsnamen über die Herrscher des ägyptischen Landes von den ältesten Zeiten an zu unserer Kunde gelangt ist. Hier treten allerdings bei dem Versuche, die einzelnen Könige, deren Herodot erwähnt, mit den von Manetho angegebenen oder aus hieroglyphischer Schrift entzifferten Königen zu identifizieren, Schwierigkeiten hervor, deren allseitige Hebung von einer weiter fortgeschrittenen Kunde der ägyptischen Denkmäler selbst und vor allem ihrer Schrift zu hoffen steht, um so mehr, als schon jetzt in vielem einzelnen — wir erinnern nur an Sesostris oder an die Erbauer der Pyramiden — sich eine Übereinstimmung der Berichte des Herodot mit dem, was die Denkmäler selbst in hieroglypischer Schrift aussprechen, ergeben hat.

Über die Quellen, aus welchen die geschichtlichen Nachrichten des Geschichtschreibers stammen, äußert sich derselbe an dem Orte, wo er von der Beschreibung des Landes, seiner Bewohner und deren Sitten zu der Geschichte desselben sich wendet (ll, 99), indem er versichert, was er bis dahin erzählt habe, beruhe auf eigener Anschauung, Einsicht und Erkundigung; was er aber von jetzt an von ägyptischer Geschichte berichte, beruhe dagegen auf den Mitteilungen der Ägypter, obwohl auch zu dem, was er vernommen, etwas aus eigener Anschauung hinzukomme; und diese letzte Äußerung wiederholt er an einer anderen Stelle (II, 147), während er ebenso wieder an einer anderen (ll, 123) ausdrücklich versichert, daß es ihm bei seiner ganzen Erzählung hauptsächlich darauf ankomme, alles genau so zu berichten, wie er es von jedem einzelnen vernommen. Als diejenigen aber, von welchen er seine Mitteilungen erhalten, erscheinen zunächst die Priester, der gebildete Stand der ägyptischen Menschheit, der auch allein fähig war, ihm Mitteilungen derart zu machen; und werden wir insbesondere neben den Priestern zu Memphis und Theben an die Priester zu Heliopolis zu denken haben, welche als die am besten unterrichteten von ihm bezeichnet werden (ll, 3). Den Priestern also verdankt er die geschichtlichen Notizen, die von Menes, dem ersten (menschlichen) Herrscher Agyptens, an über die ägyptischen Könige gegeben werden; vergl. II, 99 und II 100; auf die Priester beruft sich Herodot nicht bloß hier am Anfang seiner historischen Darstellung, sondern auch im Folgenden unterläßt er nicht, bei den Einzelheiten, die von ägyptischen Herrschern der früheren Zeit berichtet worden, stets auf die Priester zu verweisen und diese stets als die Quelle seiner Berichte anzuführen, so bei Sesostris (II, 101 ff., 107 ff.), bei dessen Nachfolger Pheron (II, 111), bei Proteus (II, 112 ff., 116 ff., 120), bei Rhampsinit (II, 121), bei Eheops (II. 124), bei Chephren (II, 127 ff.), bei Mykerinos (ll, 129 ff.) und dessen Nachfolger Asychis (II, 136 ff.), bei Anysis und Sabakos (ll, 137), wie bei Sethon (ll, 141); und er schließt diese Erzählung mit der Versicherung (ll, 142, vgl. 147), daß so weit die Mitteilungen der ägyptischen Priester reichen; in dem weiteren Lauf der Erzählung der Thronbesteigung des Psammetichos fällt die Berufung auf die Priester weg, aber es wird uns die Versicherung gegeben (ll, 154), daß infolge der Niederlassung der Griechen in Ägypten und des gesteigerten Verkehrs derselben mit den Ägyptern alles das, was seit diesem Könige und nach ihm in Ägypten sich zugetragen, mit Bestimmtheit bekannt geworden sei. Von Psammetichos an sind es also wohl Angaben der im Lande angesiedelten Hellenen, denen der Geschichtschreiber vorzugsweise folgt, weil er sie für glaubwürdig ansieht. Was aber jene Angaben der ägyptischen Priester über die Könige der früheren Zeit betrifft, so mag schon die stets und bei jedem einzelnen Könige wiederholte Berufung auf diese Quelle die Gewissenhaftigkeit des Geschichtschreibers bekunden, der diese Angaben durchaus von der eigenen Wahrnehmung unterschieden wissen wollte, der darum auch nichts weniger als leichtgläubig allen diesen Angaben unbedingten Glauben schenkt, die er bloß als fremde Mitteilungen über einen so dunklen, den Hellenen unbekannten Gegenstand anführt und selbst mit Bemerkungen begleitet, die uns den Zweifel, den er in die Wahrheit dieser Angaben setzt, hinreichend erkennen lassen. In diesem Sinne fügt er (II, 123) dem, was die Ägypter von Rhampfinit erzählten, die Bemerkung bei, es möge dies glauben, wer es wolle[1] , ihm selbst sei es ja nur darum zu thun, das mitzuteilen, was er von anderen vernommen; in ähnlichem Sinne zweifelnd und prüfend finden wir ihn bei dem, was er über die Kolchier (II, 104), über die von Sesostris gesetzten Denksäulen (II, 106) oder über die Erzählungen der Ägypter von Helena und Menelaos (II, 116 ff.) bemerkt, und ebenso bei dem, was etwelche Hellenen von der Rhodopis (II. 131) erzählten, oder was über das Alter gewisser hellenischer und ägyptischer Gottheiten von Ägyptern und Hellenen in verschiedener Weise behauptet ward (ll, 146); ebenso unumwunden setzt er der Angabe der Ägypter die eigene Wahrnehmung entgegen (Il, 156 vgl. 131), welche das, was jene angegeben, durch den Augenschein nicht bestätigt fand.

Erwägen wir dies alles, so wird es uns nicht in den Sinn kommen können, den Geschichtschreiber in dem, was er über die Geschichte des ägyptischen Landes mitteilt, der Leichtgläubigkeit und Täuschung oder der Entstellung der Wahrheit, es sei mit oder ohne Absicht;, zu bezichtigen, da er am wenigsten einen derartigen Vorwurf verdient, wohl aber unseren vollsten Dank für die von ihm in einer solchen Weise und mit solcher Vorsicht gebrachten Mitteilungen, welche wir als die ersten und ältesten Aufschlüsse über die ältere Geschichte des ägyptischen Landes zu betrachten, dann aber auch mit der gleichen Vorsicht aufzunehmen haben, mit welcher sie der Geschichtschreiber selbst aufnahm, der übrigens auch in diesem Teile seines Werkes, welcher, wie schon oben bemerkt, doch nur als eine dem großen Ganzen eingefügte Episode zu betrachten ist, selbst da, wo er Fremdes berichtet, dasjenige nicht aus den Augen verliert, was, wie wir früher (Band I S. 15 ff.) gezeigt haben, ihm als letztes Ziel der Geschichtl schreibung überhaupt vorschwebte, insofern in ihr und durch sie das Walten der göttlichen Gerechtigkeit nachgewiesen werden soll, zum Nutz und Frommen der Menschheit. In diesem Sinne äußert er sich über den Trojanischen Krieg (II, 120) und dessen Leiden, welche die Gottheit verhängt hat, um für begangenen Frevel zu strafen, und ähnliche, darauf hinweisende oder damit in Verbindung stehende Äußerungen oder Erzählungen laufen auf das Gleiche hinaus; vgl. II 133; 139; 151; 155. Es wird dies um so mehr zu beachten sein, als der Geschichtschreiber sonst es vermeidet, und zwar absichtlich, in das Gebiet des Religiösen, zunächst der ägyptischen Götterverehrung und des Kultus, näher einzutreten, und, seiner eigenen Äußerung zufolge, die er an den Anfang dieses Buches (II, 3) gestellt hat, durchaus nicht gewillt ist, das, was er über göttliche Dinge (von den Priestern) vernommen hat, wiederzugeben, sondern nur das mitzuteilen gedenkt, wozu er im Laufe der Darstellung genötigt werde. Und diese Äußerung wird später (ll, 65) bei einer anderen Gelegenheit wiederholt, wo er sich über die Gründe des Tierdienstes bei den Ägyptern nicht weiter aussprechen will, weil ihn dies auf die göttlichen Dinge führen würde, deren Erörterung er meide; was er hier bemerke, habe er nur notgedrungen gesagt. Und mit gleicher Vorsicht geht er überall zu Werke, wo er auf solche Gegenstände des Kultus kommt, deren Mitteilung von seiten der Priester er als ein ihm anvertrautes Geheimnis betrachtet, welches zu veröffentlichen er billig sich scheuen muß, zumal da hier eine Beziehung zu manchem eintrat, was auch bei den Griechen Gegenstand eines Geheimkultus oder der Mysterien geworden wär, wie z. B. II 51, oder II 171; mit gleicher Zurückhaltung spricht er sich bei dem Kultus des Pan (II, 46; 47) aus, indem es ihm, wie er versichert, nicht zustehe, die Sage der Ägypter mitzuteilen, oder bei dem, was ihm über den ägyptischen Herkules gleichsam entschlüpft ist (II, 45), wo er die gnädige Nachsicht der Götter und Heroen sich erbittet in bezug auf das, was er gesagt hat; in ähnlicher Weise läßt er sich über das zu Sais dem Osiris zu Ehren, der dort begraben lag, gefeierte Fest aus (ll, 60, vgl. 170) und verschweigt lieber den Namen des Osiris (ll, 61 ; 81 ; 132; 170), um durch dessen Veröffentlichung keine Schuld auf sich zu laden, während er in einer anderen Sache, die diesem Kultus ferner lag, in der Frage nach der Gründung des Orakels von Dodona, sich nicht scheut, in eine Kritik der ägyptischen Sage einzugehen und seine Ansicht, wie sonst, unumwunden und offen auszusprechen (II, 56).

Wenn wir eine solche Zurückhaltung, die durch Gewissensgründe bestimmt ward und zugleich in einem natürlichen Dankgefühle begründet ist, welches den Herodot abhält, durch eine Veröffentlichung der ihm gemachten Mitteilungen diejenigen zu kompromittieren, von welchen er dieselben erhalten hatte, nur zu achten und zu ehren vermögen, so werden wir auf der anderen Seite es immerhin bedauern dürfen, durch diese allerdings gerechtfertigte Zurückhaltung des Geschichtschreibers um manche Belehrung gekommen zu sein, die uns gerade auf diesem dünkten und schwierigen Gebiete doppelt erwünscht sein würde. Begnügen wir uns darum mit dem, was uns hier mehr gelegentlich und absichtslos über ägyptisches Götterwesen und ägyptischen Kultus mitgeteilt wird, und als die älteste Quelle unserer Belehrung über diesen Gegenstand erscheint, wenn wir von den heimischen, freilich noch nicht in ihrem vollen Umfange uns zugänglichen und verständlichen Quellen absehen. Und wenn wir bei mancher Übereinstimmung dessen, was Herodot angiebt, mit eben diesen Quellen wie mit dem, was die noch vorhandenen Baudenkmale uns erkennen lassen, auch anderes in seinen Angaben finden, was mit diesen Quellen bis jetzt wenigstens noch nicht eine übereinstimmung hat erkennen lassen, wenn wir insbesondere bei Herodot nicht diejenigen Namen der ägyptischen Gottheiten wiederfinden, welche aus hieroglyphischer Schrift, soweit wir dieselbe zu entziffern vermögen, uns jetzt geboten werden, sondern lauter Namen hellenischer Gottheiten zur Bezeichnung derselben angewendet sehen, so werden wir vor allem zu bedenken haben, daß Herodot, selbst ein Grieche und der ägyptischen Sprache kaum kundig, da er sich, wie wir aus einer Stelle ersehen, der Dolmetscher (ll, 125) bedient, zunächst für Griechen schreibt und diesen sein Werk bestimmt hat, demgemäß auch an die Stelle der ägyptischen, den Griechen gewiß auffallenden Namen lieber die entsprechenden griechischen setzt, insofern diese griechischen Götter ihrem Wesen und ihrer Bedeutung nach den ägyptischen entsprechend erschienen, wodurch allerdings das ganze, auf den ersten Blick fremdartige Wesen der ägyptischen Götter der griechischen Anschauung näher gebracht und die Auffassung erleichtert ward. Und in diesem Sinne spricht er von einem Zeus (II, 42 ff.; 83; 143), von einem Herakles (II, 42 ff.; 83; 145), von einem Hephästos (II, 3; 99; 101; 108; 110; 120; 141; 147; 153), von einem Pan (II, 46; 145 ff.), von einem Ares (II, 59; 63; 83), von einer Leto (II, 155; 59 ; 83), von einer Demeter (ll, 59) und Artemis (II, 156; 59; 83), wie von einer Aphrodite (II, 41), einer Athene (ll, 59; 83; 170; 175) und identifiziert den hellenischen Dionysos mit dem ägyptischen Osiris (II, 144, vgl. II, 42; 123), die Demeter mit der Isis (59; 156), den Apollo mit Horus (II, 144; 156, vgl. 155; 83), die Artemis mit der Bubastis (II, 156, vgl. 137; 59).

Es wird aber diese Zusammenstellung ägyptischer Gottheiten mit griechischen und Übertragung der ersteren auf die letzteren um so weniger befremden, als der Geschichtschreiber sich im allgemeinen dahin ausspricht (II, 50), wie fast alle Namen der Götter aus Ägypten nach Hellas gekommen, wie, mit wenigen Ausnahmen, zu welchen Poseidon, die Dioskuren, Hera, Hestia und Themis, die Chariten und Nerëiden gezählt werden, die Namen der anderen Götter bei den Ägyptern von jeher dagewesen; aber, setzt er ausdrücklich hinzu, er sage damit nur das, was die Ägypter (d. i. die ägyptischen Priester) sagen. Ebenso führt er es ausdrücklich als eine Angabe der Ägypter an (II, 4), daß die zwölf Götternamen bei ihnen zuerst im Gebrauch gewesen und daß die Hellenen von ihnen dieselben angenommen hätten. Mit einer ähnlichen Vorsicht äußert sich der Geschichtschreiber, nachdem er (ll, 48) die Feier des Dionysosfestes als eine bei Ägyptern wie Hellenen beinahe gleiche bezeichnet hat, auch da (II, 49), wo es sich um Einführung Dionysischer Gebräuche aus Ägypten durch Melampus oder um die Hermesbilder (ll, 51) handelt, deren Abkunft aus Ägypten er geradezu bestreitet, ebenso wie er auch, und gewiß mit vollem Rechte, den Ägyptern den in Griechenland so ausgebreiteten Kult der Heroen abspricht (Il, 50). Noch bestimmter aber tritt die Ansicht des Geschichtschreibers da hervor, wo er die ganze Gestaltung des hellenischen Götterwesens, wie seine und die ihr vorausgehende Zeit dasselbe aufgefaßt hat, also die gesamte anthropomorphistische Auffassung und Darstellung der griechischen Götter, als das Werk des Homerus und Hesiodus, die etwa vier Jahrhunderte vor ihm gelebt, bezeichnet (II 53) und dies ausdrücklich als seine Ansicht ausgiebt. Wenn dies als seine individuelle Ansicht erscheint, so werden wir wohl in dem, was er uns nicht mit dieser Beschränkung über die frühere Auffassung der griechischen Gottheiten und deren Zusammenhang, wenn man es so nennen will, mit den ägyptischen , auch in den Benennungen derselben, mitteilt, nicht sowohl den Ausdruck einer persönlichen, subjektiven Ansicht des Geschichtschreibers finden, als vielmehr das, was die Ansicht der Gebildeten seiner Zeit über diese Verhältnisse überhaupt gewesen ist und darum auch in dieser Weise von ihm mitgeteilt wird; bei der Vorliebe, ja Eingenommenheit, des Geschichtschreibers für alles, was seiner Nation angehört oder diese berührt, so daß er selbst Erscheinungen fremder Völker mit hellenischem Auge betrachtet und nach hellenischem Maße beurteilt, wird aber ein solches Verfahren um so mehr zu würdigen sein und am wenigsten daraus ein Vorwurf wider den Geschichtschreiber erhoben werden dürfen, wie er, zumal in neueren Zeiten, mehrfach wider ihn erhoben worden ist. Hiernach hätte Herodot durch die ägyptischen Priester, mit denen er verkehrte, sich in die Irre führen lassen, und in dieser Täuschung, infolge seiner Leichtgläubigkeit und des Vertrauens, das er unbedachtsam in die Priester und deren Aussagen gesetzt, befangen, die Ursprünge hellenischen Götterdienstes und hellenischer Bildung aus Ägypten herzuleiten gesucht. Die nähere Einsicht in die oben angeführten Stellen und deren richtige Auffassung, sowie das gewissenhafte Verfahren des Mannes, der sich nicht leicht in die Irre führen und die Schärfe seines Blickes trüben läßt, mag am besten lehren, was von derartigen Vorwürfen zu halten ist; wir aber werden uns an die von ihm mitgeteilten Angaben in der Weise, wie er sie giebt, zu halten haben, wenn wir nicht über alle historisch beglaubigte Überlieferung uns wegsetzen und das, was wir in dem einen Falle ohne Bedenken von ihm annehmen, in dem anderen verwerfen wollen, weil es mit denjenigen Ansichten, die wir uns über solche Dinge gebildet haben, im Widerspruch zu stehen scheint. Warum sollen wir dem Herodot die Glaubwürdigkeit, die wir ihm in anderen historischen wie naturgeschichtlichen oder geographischen Dingen nicht abzusprechen vermögen, da versagen, wo er über die Götterwelt, und zwar mit der größten Umsicht und Vorsicht, sich ausspricht? Und wenn er hier, was zunächst den ältesten hellenischen Kultus und die hellenischen Götter betrifft, ehe sie ihre spätere, durch Homer und Hesiod bestimmte Gestalt und Auffassung erhielten, eine gewisse Beziehung und Verbindung mit den ägyptischen anerkennt, so wie seine Zeit überhaupt dies anerkannt hat, so werden wir kein Recht haben, dies dem Einflusse ägyptischer Priester zuzuschreiben und ihn selbst als ein Opfer priesterlichen Truges zu betrachten. Wer die Geschichten des Herodot, und insbesondere, wer auch dieses zweite Buch nur mit einiger Aufmerksamkeit durchgelesen hat, der wird und muß sich bald überzeugen, daß Herodot am wenigsten der Mann war, der leichtgläubig sich täuschen oder in die Irre führen ließ, daß er vielmehr überall der Erforschung der Wahrheit ebenso nachgeht als der Verherrlichung seiner Nation, und diese am wenigsten irgendwie verkürzt wissen will in dem, was sie Edles und Großes überhaupt hervorgebracht hat, am wenigsten auch in ihren Vorstellungen von der Götterwelt und was damit zusammenhängt. Mit dieser natürlichen Vorliebe für seine Nation wird jener Vorwurf ebenso unvereinbar sein wie mit dem scharfen Blick des Geschichtschreibers und seiner strengen, gewissenhaften Prüfung alles dessen, was er in seine Darstellung aufgenommen hat. Möchte doch kein Geschichtschreiber alter und neuer Zeit der Täuschung und dem Irrtum mehr unterlegen sein als Herodot!



Inhalt des zweiten Buches.

Zug des Kambyses, des Sohnes und Nachfolgers des Cyrus, wider Ägypten, als nächste Veranlassung zu der nun folgenden Beschreibung Ägyptens{(1).} Erörterung über das Alter der ägyptischen Menschheit{(2.3).} Quellen der Erzählung{(3).}

Älteste Erfindungen der Ägypter und älteste Beschaffenheit des Landes{(4.5).} Ausdehnung desselben{(6).} Beschaffenheit des Bodens nach den verschiedenen Landesteilen{(7.8.9);} Anschwemmungen des Nil und Bildung des Delta; Einfluß auf den Ackerbau{(10—14);} Verhältnis des Delta zur Begrenzung des Landes und dessen Beziehung zu Asien und Afrika{(15.16.17.18);} der Nil und seine Arme{(17).} Die jährliche überschwemmung des Nil und deren Gründe{(17—26),} sowie der Ausfall von Winden{(27),} Die Quellen des Nil{(28);} der weitere südliche Lauf des Nil über Ägypten hinaus nach Meroe{(29)} und zu den Automolen{(30);} westlicher Lauf des Nil nach der Erzählung der Nasamonen{(31—33),} Vergleichung des Laufes mit dem des Ister{(34).}

Beschreibung von Ägypten, zunächst seiner Bewohner. Die Lebensweise der Ägypter, ihre Sitten und Gebräuche{(35.36),} zumal in religiösen Dingen{(37);} Heilighaltung des Rindsgeschlechtes, der Stiere wie der Kühe, deren Opferung und Bestattung{(38—41).} Opferung der Schafe und Ziegen, Kult des Ostris und der Isis, wie insbesondere des Zeus{(42),} des Herakles{(43-45),} des Pan (46), des Dionysos{(47.48);} das Schweinopfer (ebendas.). Einführung des Dionysischen Kultus in Hellas durch Metampus{(49).} Zurückführung der Namen der meisten hellenischen Götter auf Ägypten{(50);} die Hermesbilder der Athener von den Pelasgern hergeleitet{(51).} Älester Gottesdienst der Pelasger{(52);} Umgestaltung der Götter durch Homer und Hesiod{(53).} Das älteste Orakel der Hellenen zu Dodona und dessen Gründung{(54—57).} Feste der Ägypter{(58.59),} insbesondere zu Bubastis{(60),} zu Busiris{(61),} zu Sais{(62),} zu Papremis{(63.64).} Heilighaltung der Tempel{(65).}

Die ägyptische Tierwelt im allgemeinen und deren Pflege{(65);} die Katzen{(66),} die Hunde, Mäuse u, s. w.{(67),} das Krokodil{(68—70);} das Flußpferd{(71);} Fischotter und Fische{(72);} der Vogel Phönix{(73);} Schlangen{(74—75);} der Ibis{(76).}

Lebens- und Nahrungsweise der Ägypter{(77);} ihre Mahlzeiten{(78),} ihre Lieder, darunter der Linos{(79);} ihre Begegnung{(80),} ihr Anzug{(81),} Bestimmung des Schicksals aus der Geburt{(82),} Weissagekunst{(83),} Heilkunde{(84),} Totenbestattung{(85),} Einbalsamierung{(86—90).} Kult des Perseus zu Ehemmis{(91);} Nahrungsweise der im Delta wohnenden Ägypter{(92);} die Fische{(93);} Öl und Sillicyprien{(94),} Mücken{(95),} Fahrzeuge{(96),} Nilschiffahrt{(97.98).}

Geschichte von Ägypten: Menes, der erste König, der Gründer von Memphis (99), Nitokris{(100),} Möris{(101),} Sesostris{(102—103),} Abkunft der Kolcher (104.105), Denksäulen des Sesostris{(106).} Pheron{(111),} Proteus{(112),} Helena, Alexandros (Paris) und Menelaos{(113)}{,} Rhampsinit und sein Schatzhaus{(121),} seine Fahrt in die Unterwelt{(122.123),} Eheops und die Erbauung von Pyramiden{(124} bis 126). Ehephren, ebenfalls Erbauer einer Pyramide (127.128). Mykerinos und dessen Tochter{(129—133),} seine Pyramide, Erzählung von der Rhodopis{(134.135).} Asychis{(136).} Anysis und Sabakos{(137—140).} Tempel zu Bubastis{(138).} Sethon und der Kampf mit Sanherib{(141).} Gesamtzeit der menschlichen Herrscher über Ägypten{(142);} die Priesterkolosse im Tempel des Zeus zu Theben{(143),} die Zeiten der Götterherschaft in Ägypten verglichen mit der Zeit der hellenischen Götter{(144—146).} Die Herrschaft der zwölf Könige über Ägypten{(147).} Die Erbauung des Labyrenths{(148).} Anlage des Sees Möris{(149.150).} Erhebung des Psammetich zum alleinigen Herrscher von Ägypten{(151.152);} des Psammetich Bauten und Anlagen{(153.154).} Das Orakel der Leto zu Buto{(155.156).} Die Belagerung von Azotus durch Psammetich{(157).} Neko, des Psammetich Sohn und Nachfolger; Anlage des Kanals zur Verbindung des Nil mit dem Roten meere{(158);} Nekos Kriegszüge, der Sieg über die Juden{(159).} Psammis und sein Verkehr mit den Elecrn{(160).} Apriës: seine kriegerischen Unternehmungen{(161),} sein Sturz durch Amasis{(162.163.} 169). Die Kasten der Ägypter{(164),} zunächst die Kriegerkaste{(165—168);} die letzten Schicksale des Aprils{(169).} Der Tempel zu Sais und die dortige Festfeier, die hellenischen Thesmophorin{(170.171).} Das Verhalten des Amasis und seine Lebensweise{(172—174);} seine Bauten und Weihgeschenke{(175.176);} Blüte Ägyptens unter Amasis{(177);} des Amasis Vorliebe für die Hellenen, Anlage von Naukratis{(178.179);} Spenden für den Wiederaufbau des abgebrannten Tempels zu Delphi{(180).} Des Amasis Bund mit Kyrene, durch die Heirat mit Ladike aus Kyrene besiegelt{(181).} Weihgeschenke verschiedene hellenische Tempel und Eroberung der Insel Cypern{(182).}


Zweites Buch. Euterpe.


1.

Als Cyrus gestorben war[1] , übernahm Kambyses die königliche Würde, welcher der Sohn des Cyrus und der Kassandane, der Tochter des Pharnaspes, war; diese war schon vor Cyrus gestorben, welcher selbst um sie große Trauer angestellt und auch allen anderen, über die er herrschte, Trauer anzulegen geboten hatte. Dieses Weibes und des Cyrus Sohn war Kambyses, welcher Jonier und Äolier wie Knechte[2] ansah, die er von seinem Vater ererbt, und dann einen Kriegszug gegen Ägypten unternahm[3] , zu welchem er außer den anderen Völkern seines Reiches auch die Hellenen, über die er herrschte, mitnahm.



2.

Die Ägypter waren, bevor Psammetichos König derselben geworden war, in dem Glauben, sie wären die ersten unter allen Menschen gewesen[1] ; wie nun Psammetichos zur Herrschaft gelangt war, wollte er gern wissen, welche Menschen wohl die ersten gewesen, und von dieser Zeit an glauben die Ägypter, die Phrygier seien vor ihnen dagewesen, sie selbst aber wären älter als alle anderen. Als nämlich Psammetichos durch seine Nachforschung in keiner Weise zu ermitteln vermochte, welche Menschen die ersten gewesen, ersann er folgendes Mittel[2] : Er gab zwei neugeborene Knaben gemeiner Leute einem Hirten, der in seiner Herde dieselben aufziehen solle in der Art, daß er — so gebot er ihm — keine menschliche Stimme vor denselben hören lasse, sondern abgesondert in einem einsamen Gemach sie für sich liegen lasse und zur bestimmten Zeit Ziegen zu ihnen führe; hätten die Knaben dann mit der Milch der Ziegen sich gesättigt, so möge er weiter seine Geschäfte besorgen. Also that Psammetichos, und also ordnete er an, weil er wissen wollte, welchen Laut die Knaben, wenn sie über die Zeit des undeutlichen Lallens hinausgekommen, zuerst von sich geben würden. Und dies geschah auch. Denn nach Verlauf von zwei Jahren, während welcher der Hirt also that, wie ihm befohlen war, liefen, als er einst die Thür öffnete und eintrat, die Knaben zu ihm und schrieen, die Hände ausstreckend: Bekos[3] . Wie dies der Hirte vernommen, verhielt er sich anfangs ruhig, als er aber, so oft er zur Pflege der Knaben kam, immer wieder dieses Wort hörte, da machte er sofort seinem Herrn die Anzeige und führte auf dessen Befehl ihm die Knaben vor; und als nun Psammetichos es selbst gehört hatte, suchte er zu erforschen, was das für Menschen wären, welche das Wort Bekos im Munde führten. Bei dieser Erkundigung erfuhr er dann, daß die Phrygier damit das Brot bezeichneten. Aus diesem Vorfall erkannten die Ägypter, daß die Phrygier älter als sie wären, und gaben es zu. Also vernahm ich den Hergang von den Priestern des Hephästos[1] zu Memphis; die Hellenen dagegen erzählen darüber mancherlei einfältige Geschichten, so auch, daß Weibern die Zunge habe ausschneiden und dann bei ihnen die Kinder aufziehen lassen.



3.

Soviel erzählte man über die Erziehung der Knaben. Ich hörte auch noch anderes zu Memphis, wo ich mit den Priestern des Hephästos in eine Unterredung gekommen war, und eben darum wendete ich mich auch nach Theben und Heliopolis, weil ich zu wissen wünschte, ob man dort mit dem, was ich zu Memphis gehört, übereinstimme; die Heliopoliten[2] nämlich gelten für die gelehrtesten unter den Ägyptern. Was ich nun über göttliche Dinge vernahm, das bin ich nicht gewillt zu erzählen, außer die Namen allein von den Göttern, weil ich glaube, daß darüber alle Menschen ein gleiches[3] wissen; alles aber, was ich sonst noch von göttlichen Dingen erwähne, das werde ich nur erwähnen, wo ich von dem Gange der Erzählung dazu mich genötigt sehe.[1]



4.

Was nun menschliche Dinge betrifft, so erzählten sie[2] in Übereinstimmung miteinander folgendes: Die Ägypter hätten zuerst unter allen Menschen das Jahr erfunden, welches sie nach den Jahreszeiten in zwölf Teile geteilt; sie behaupten, dies aus den Sternen ermittelt zu haben.[3] Darin aber verfahren die Ägypter nach meinem Bedünken viel klüger als die Hellenen, welche um der Jahreszeiten willen alle drei Jahre[4] einen Schaltmonat einfügen, während die Ägypter sich an die zwölf Monate von je dreißig Tagen halten und in jedem Jahre noch fünf Tage weiter, außer dieser Zahl, hinzunehmen; und so kommt der Kreislauf der Jahreszeiten bei ihnen wieder auf dasselbe zurück. Auch die Namen der zwölf Götter, behaupteten sie, wären bei den Ägyptern zuerst im Gebrauch gewesen, und hätten die Hellenen von ihnen dieselben angenommen; ebenso hätten sie zuerst Altäre, Götterbilder und Tempel den Göttern errichtet und allerlei Figuren[1] in Stein eingeschnitten. Und daß dies so geschehen, beweisen sie meist durch die Wirklichkeit. Der erste Mensch, der über Ägypten geherrscht, war, wie sie angeben, Menes[2] , zu dessen Zeit ganz Ägypten, mit Ausnahme der Mark von Theben[3] , ein Sumpf gewesen, und war nichts zu sehen von all dem Lande, welches jetzt unterhalb des Sees Möris 4 liegt, zu welchem man vom Meere aus stromaufwärts eine Fahrt von sieben Tagen hat[5] .


***
5.

Auch schienen sie mir eine richtige Ansicht über ihr Land auszusprechen; denn es ist klar für einen jeden, der anders Verstand hat, mag er vorher auch nichts gehört, sondern nur mit seinen Augen gesehen haben, daß dasjenige Ägypten, zu welchem die Hellenen mit ihren Schiffen fahren, ein von den Ägyptern neu gewonnenes Land ist und ein Geschenk des Flusses[6] ; sogar das Land, das noch oberhalb jenes Sees liegt, bis zu einer Fahrt von drei Tagen, worüber jene nichts derart bemerkten, ist ähnlicher Art. Es ist nämlich die Natur des ägyptischen Landes also beschaffen: zuvörderst, segelt man heran und läßt, auch wenn man noch eine Tagfahrt vom Lande entfernt ist, das Senkblei fallen, so zieht man Schlamm herauf, und befindet sich dabei noch in einer Wassertiefe von elf Klaftern[2] ; dies zeigt doch klar, daß die Anschwemmung des Landes so weit hin sich erstreckt.




6.

Ferner beträgt die Länge von Ägypten selbst längs des Meeres sechzig Schoinen, wie nämlich wir Ägypten rechnen von dem Plinthinetischen Meerbusen an bis zu dem Serbonischen See, an welchem das Kasische Gebirge sich hinzieht; von da also sind es sechzig Schoinen. Was nämlich landarme Leute sind, die bemessen das Land nach Klaftern, die weniger landarm sind, rechnen nach Stadien, die viel Land besitzen, nach Parasangen, und die recht viel besitzen, nach Schoinen. Es beträgt aber der Parasang dreißig Stadien, jeder Schoinos aber, der ein ägyptisches Maß ist, sechzig Stadien. Sonach würde die Länge Ägyptens längs dem Meere dreitausend sechshundert Stadien betragen.[3]



7.-9

Von da[1] an und hinauf bis Heliopolis in das Binnenland hinein ist Ägypten breit, dabei ganz flach, wässerig[2] und sumpfig; der Weg vom Meere aus aufwärts nach Heliopolis ist seiner Länge nach gleich dem Wege, der von Athen aus, d. i. von dem Altar der zwölf Götter[3] , nach Pisa und zu dem Tempel des Olympischen Zeus führt. Man wird zwar bei der Berechnung dieser Wege einen kleinen Unterschied finden, so daß die Länge nicht ganz die gleiche ist: es beträgt aber derselbe nicht mehr wie fünfzehn Stadien, welche dem von Athen nach Pisa führenden Wege zu der Gesamtzahl von fünfzehnhundert Stadien[4] abgehen, während der Weg nach Heliopolis vom Meere aus die volle Zahl ausmacht.


***
8.

Wenn man nun von Heliopolis aufwärts geht, so ist Ägypten schmal: denn an der einen Seite zieht sich das Arabische Gebirge[5] hin, welches in der Richtung von Norden gegen Süden und Südwesten immer aufwärts geht bis zu dem sogenannten Roten Meere[6] ; in diesem Gebirge befinden sich die Steinbrüche[7] , in welchen die Steine zu den Pyramiden bei Memphis gebrochen worden sind; hier nun hört das Gebirge auf und wendet sich um nach der eben angegebenen Seite[1] ; seine Länge von Sonnenaufgang gegen Abend beträgt, wie ich in Erfahrung brachte, eine Strecke Weges von zwei Monaten, und sollen die ostwärts gelegenen Strecken, welche Weihrauch hervorbringen, sein Ende bilden. So ist nun dieses Gebirge beschaffen. Auf der andren Seite Ägyptens nach Libyen zu zieht sich ein anderes felsiges Gebirge hin, worin die Pyramiden sich befinden; es ist mit Sand bedeckt und nimmt dieselbe Richtung wie der nach Mittag sich erstreckende Teil des Arabischen Gebirges. So ist also von Heliopolis an das, was zu Ägypten gehört, eine nicht mehr ausgedehnte Landstrecke, sondern Ägypten ist während einer Fahrt von vier Tagen (den Nil) aufwärts enge. Was nun zwischen den genannten Gebirgen liegt, ist ebenes Land; da, wo es am engsten ist, schien mir ungefähr die Strecke von dem Arabischen Gebirge bis zu dem sogenannten Libyschen nicht mehr als zweihundert Stadien[2] zu betragen; von da an ist Ägypten wieder breit. Also ist dieses Land von Natur beschaffen.



***
9.

Von Heliopolis nach Theben aufwärts ist es eine Fahrt von neun Tagen (auf dem Nil), viertausend achthundertundsechzig Stadien[3] Weges, was einundachtzig Schoinen ausmacht. Rechnet man nun diese Stadien Ägyptens zusammen" so beträgt die Strecke längs des Meeres, wie es von mir schon früher angegeben worden ist, dreitausend sechshundert Stadien; wieviel es aber vom Meere landeinwärts ist, will ich nun angeben: es sind nämlich sechstausend einhundertundzwanzig Stadien[1] ; von Theben aber bis zu der Stadt, welche Elephantine genannt wird, sind es achtzehnhundert Stadien.




10.-14

Der größere Teil des eben bezeichneten Landes erschien auch mir, wie dies die Priester angeben, ein von den Ägyptern neu gewonnener Boden zu sein. Denn das Land, das zwischen den angeführten Bergen oberhalb Memphis liegt, schien mir einst ein Meerbusen gewesen zu sein[2] , gerade wie die Gegend um Ilium und Teuthrania, oder die Gegend um Ephesus und die Ebene des Mäander[3] , insoweit man diese kleinen Strecken mit so großen vergleichen darf. Denn keiner von den Flüssen, welche diese Landstrecken angeschwemmt haben, läßt sich hinsichtlich der Wassermenge auch nur mit einer Mündung des Nil, welcher fünf solcher Mündungen hat[4] , vergleichen. Es giebt aber auch andere, dem Nil an Größe nicht gleichstehende Flüsse, welche große Werke zu stande gebracht haben, deren Namen ich auch anzugeben im stande bin, wie unter anderen den Achelous, welcher durch Akarnanien fließt und bei seinem Austritt ins Meer bereits die Hälfte der Echinadischen Inseln zu festem Lande gemacht hat.[5]


***
11.

In dem Lande Arabien, nicht fern von Ägypten, befindet sich ein Meerbusen, welcher von dem Meere, so das Rote heißt[1] , hereinzieht und in der That so lang und schmal ist, wie ich alsbald angeben werde. Was nämlich die Länge der Fahrt betrifft, so sind darauf, wenn man anfängt ganz vom Innern des Busens[2] hindurchzufahren bis in das weite Meer, vierzig Tage bei einem Ruderschiff[3] zu verwenden; die Breite beträgt da, wo der Busen am Schmalsten ist, eine halbe Tagesfahrt. Ebbe und Flut findet aber in diesem Busen jeden Tag statt. Gerade ein solcher Busen ist nach meiner Meinung auch Ägypten einst gewesen, indem von dem nördlichen Meere aus ein derartiger Busen sich gegen Äthiopien hin hereinzog, während der andere Busen (der Arabische, von dem ich hier reden will) vom südlichen Meere[4] aus sich gegen Syrien zu erstreckte, so daß beide mit ihren Winkeln fast aneinanderstießen und nur eine geringe Landstrecke dazwischen ließen. Wenn nun der Nil wirklich einmal seinen Lauf umwenden wollte in diesen Arabischen Busen, würde nicht derselbe sofort von dem hereinströmenden Flusse ebenso mit Land ausgefüllt werden während eines Zeitraums von zwanzigtausend Jahren? Ja, ich meine, er würde schon innerhalb zehntausend Jahren ausgefüllt werden. Warum sollte also auch nicht in der vorausgegangenen Zeit, noch ehe ich auf der Welt war, ein Meerbusen, und selbst ein viel größerer als dieser, von einem so großen und so thätig schaffenden Flusse: ausgefüllt worden sein?



***
12.

Über Ägypten schenke ich daher auch denen, die mir solches erzählten, Glauben, und bin selbst ganz der Ansicht, daß es sich so verhalte, nachdem ich gesehen, wie Ägypten vor dem festen Lande (Afrikas) liegt, auf den Bergen Muscheln[1] sichtbar sind und Salz auf der Oberfläche in der Weise hervorkommt, daß sogar die Pyramiden darunter leiden; auch hat das Gebirge oberhalb Memphis allein in ganz Ägypten Sand; ferner finde ich, daß der Boden Ägyptens weder dem benachbarten Arabien noch Libyen, ja nicht einmal dem Boden von Syrien (denn die Küstenstrecken Arabiens bewohnen Syrer) ähnlich, sondern ganz schwarz[2] und zerrissen ist, eben weil es Schlamm und Schutt ist, der von dem Fluß aus Äthiopien herabgeschwemmt ist. Libyen aber hat, wie wir wissen, einen rötlicheren und etwas sandigeren Boden, Arabien dagegen und Syrien einen mehr thonhaltigen und etwas steinigen.



***
13.

Auch das ist mir ein Hauptbeweis hinsichtlich dieses Landes, was die Priester erzählten, daß zur Zeit des Königs Möris[3] der Fluß, wenn er auf acht Ellen mindestens gestiegen war, Ägypten unterhalb Memphis stets bewässerte. Und Möris war noch nicht neunhundert Jahre tot, als ich dies von den Priestern hörte. Jetzt aber tritt der Fluß, wenn er nicht sechzehn[4] oder zum mindesten fünfzehn Ellen gestiegen ist, gar nicht über auf das Land; und so glaube ich, daß den Ägyptern, welche das Land unterhalb des Sees Möris und namentlich das sogenannte Delta bewohnen, es für den Fall, daß das Land auf diese Weise nach Verhältnis an Höhe zunimmt und in gleichem Maße anwächst, in der Zukunft, weil der Nil es nicht mehr überschwemmt, immer ebenso ergehen wird, wie es nach der Erklärung der Ägypter selbst[1] den Hellenen ergehen wird. Als sie nämlich hörten, daß im ganzen Lande der Hellenen nur Negen falle, aber keine Flüsse dasselbe bewässern, wie es in ihrem Lande der Fall ist, so behaupteten sie, die Hellenen könnten sich einmal in ihrer Erwartung sehr getäuscht sehen und würden dann übel Hunger leiden. Dieses Wort will so viel sagen, daß die Hellenen, wenn die Gottheit ihnen keinen Siegen senden, sondern eine Dürre auf die Dauer verhängen wollte, vor Hunger zu Grunde gehen würden; denn sie hätten ja kein anderes Mittel, sich anderswoher Wasser zu verschaffen, außer allein von Zeus.[2]



***
14.

Es ist dies allerdings mit Recht von den Ägyptern in bezug auf die-Hellenen behauptet worden, Ich will aber doch nun auch angeben, wie es mit den Ägyptern selbst steht. Wenn, wie ich schon vorhin bemerkt habe, das unterhalb Memphis gelegene Land — denn dies ist das Land, welches zunimmt — in dem Verhältnis wie in der vergangenen Zeit an Höhe zunehmen sollte, werden dann nicht die dort wohnenden Ägypter Hunger leiden, da es ja in ihrem Lande nicht regnet[3] und auch der Fluß dann nicht im stande ist, auf die Felder überzutreten? Denn jetzt allerdings ziehen sie Frucht aus der Erde mit der allergeringsten Mühe unter allen Menschen schen und selbst unter den übrigen Ägyptern[1] , sie haben sich nicht abzumühen, mit dem Pflug die Furchen aufzubrechen, noch zu hacken, noch haben sie irgend eine Arbeit, mit welcher die übrigen Menschen auf den Feldern sich plagen, sondern wenn der Fluß von selbst auf ihre Felder gekommen ist und sie bewässert hat, nach der Bewässerung aber wieder zurückgetreten ist, besäet ein jeder sein Feld und treibt Schweine darauf; ist die Saat von den Schweinen eingetreten, so wartet er .die Zeit der Ernte ab, läßt dann das Korn durch die Schweine[2] dreschen und schafft es nach Hause.




15.-18

Wenn wir nun in bezug auf Ägypten der Ansicht der Jonier[3] folgen wollen, welche behaupten, das Delta allein wäre Ägypten, welches sich längs des Meeres von der sogenannten Warte des Peleus bis zu den Pelusischen Pökelfabriken,[4] , was vierzig Schoinen beträgt, erstrecke, und dann vom meere landeinwärts bis zur Stadt Kerkasorus hinziehe[1] , wo der Nil in den Pelusischen und Kanobischen Arm sich teilt, so daß alles andere, was man zu Ägypten rechnet, teils zu Libyen, teils zu Arabien gehöre —: wenn wir dieser Ansicht folgen wollen, so könnten wir zeigen, daß die Ägypter vordem überhaupt gar kein Land gehabt hätten. Denn das Delta ist, wie die Ägypter selbst versichern und ich selbst es glaube, ein angeschwemmtes und sozusagen erst vor kurzem an das Licht getretenes Land. Wenn sie demnach gar kein Land von Anfang an gehabt hätten, warum hätten sie sich so viele unnötige Mühe geben sollen, für die ersten unter allen Menschen zu gelten? Sie brauchten dann auch gar nicht zu dem Versuch mit den Kindern zu schreiten, um sich zu überzeugen, welche Sprache dieselben zuerst reden würden. Aber ich glaube gar nicht, daß die Ägypter erst mit dem Land, das die Jonier Delta nennen, entstanden, sondern daß sie von jeher dagewesen sind, seitdem das Menschengeschlecht entstanden ist; als aber das Land weiter vorrückte, so sind von den Ägyptern gar viele zurückgeblieben, viele aber auch immer weiter abwärts gezogen. Vor Alters wenigstens ward Thebä Ägypten genannt[2] , dessen Umfang sechstausend einhundert und zwanzig Stadien beträgt.


***
16.

Ist nun unsere Ansicht darüber die richtige, so haben die Jonier eine irrige Vorstellung von Ägypten ist aber die Ansicht der Jonier die richtige, so kann ich nachweisen, daß die Hellenen, und nächst die Jonier, nicht zu rechnen verstehen, insofern sie behaupten, die ganze Erde habe drei Teile: Europa, Asien und Libyen; denn sie müßten noch einen vierten dazu rechnen, das Delta von Ägypten, da dieses weder zu Asien noch zu Libyen gehört. Denn nach dieser Behauptung ist es in der That nicht der Nil, welcher Asien von Libyen trennt, sondern an der Spitze dieses Delta bricht sich der Nil, so daß das Delta in der Mitte zwischen Asien und Libyen liegen würde.




17..27

Und so lassen wir denn die Ansicht der Jonier auf sich beruhen, wir sprechen uns darüber vielmehr in folgender Weise aus: wir verstehen unter Ägypten das ganze Land, das von Ägyptern bewohnt wird, gerade wie man Kilikien das von Kilikiern und Assyrien das von Assyriern bewohnte Land nennt: eine andere Grenze für Asien und Libyen als das Gebiet der Ägypter kennen wir, richtig verstanden, nicht. Wenn wir dagegen der von den Hellenen angenommenen Ansicht[1] folgen wollen, so werden wir anzunehmen haben, daß ganz Ägypten, von den Katadupen[2] und der Stadt Elephantine an gerechnet, in zwei Teile zerfällt und an beiden Namen Anteil hat, insofern der eine Teil zu Libyen, der andere zu Asien gehört: denn es teilt der Nil von den Katadupen an bis zu seinem Einfluß in das Meer Ägypten mitten durch in zwei Hälften: bis zur Stadt Kerkasorus[3] nämlich fließt er in einem Strome, von dieser Stadt an aber spaltet er sich in drei verschiedene Arme, von welchen der eine sich nach Osten wendet, was man die Pelusische Mündung nennt, der andere nach Westen: dieser heißt die Kanobische Mündung. Mit demjenigen Arme aber, welcher geradeaus geht, verhält es sich also: der Nil, von oben herab kommend, gelangt bis zur Spitze des Delta; von hier an schneidet er mit seinem Laufe in das Meer das Delta mitten durch, indem er hier den bedeutendsten und nennenswertesten Teil des Wassers behält; man nennt diesen Arm die Sebennytische Mündung. Es scheiden sich dann von dem Sebennytischen Arme noch zwei andere Arme aus, welche ins Meer laufen; der eine heißt der Saïtische, der andere der Mendesische. Die Bolbitenische und die Bukolische Mündung aber sind keine natürlichen Mündungen, sondern gegrabene[1] .


***
18.

Es zeugt aber für meine Ansicht, daß Ägypten so groß ist, wie ich eben angebe, auch ein Götterspruch des Ammon[2] , welchen ich erst später, nachdem ich zu dieser Ansicht gekommen war, über Ägypten erfahren habe. Die Leute von der Stadt Marea und Apis, welche die an Libyen grenzenden Striche Ägyptens bewohnen[3] und selbst Libyer zu sein glaubten und keine Ägypter, fanden den Dienst am Tempel beschwerlich und wollten sich nicht des Genusses der Kühe enthalten. Sie schickten daher Gesandte zum Ammon und erklärten, sie hätten mit den Ägyptern nichts gemein, denn sie wohnten außerhalb des Delta und stimmten auch sonst mit ihnen nicht überein, deshalb wollten sie auch, daß es ihnen erlaubt sei, alles zu genießen. Aber der Gott gestattete ihnen nicht dies zu thun, indem er ihnen erklärte, Ägypten sei das Land, welches der Nil betrete und bewässere, und Ägypter seien alle die, welche unterhalb der Stadt Elephantine wohnen und von dem Wasser dieses Flusses trinken, Also lautete der Orakelspruch, den sie empfingen. Es überschwemmt aber der Nil, wenn er anschwillt, nicht bloß das Delta, sondern auch einen Teil des sogenannten libyschen und des arabischen Landes, manchmal bis zu einer Strecke von zwei Tagereisen auf beiden Seiten, und zwar bald mehr, bald weniger als dies.



***
19.

Über die Natur des Flusses konnte ich weder von den Priestern noch von irgend einem andern etwas erfahren, so sehr ich auch bemüht war, darüber Auskunft von ihnen zu erhalten, warum der Nil von der Sommersonnenwende an gerechnet gegen hundert Tage mit Hochwasser durch das Land herunterströmt, dann aber, wenn er diese Zahl von Tagen erreicht hat, wieder abnimmt an Wasser und zurücktritt, so daß er den ganzen Winter hindurch klein ist bis wieder zur Sommersonnenwende[1] . Über diese Dinge war ich nicht im stande von seiten der Ägypter irgend etwas zu erfahren, obwohl ich mich bei ihnen erkundigte, welche Kraft denn der Nil habe, daß es sich mit ihm umgekehrt verhält wie mit den übrigen Flüssen. Weil ich nun ihre Angaben darüber zu erfahren wünschte, erkundigte ich mich, sowie auch darüber, warum von diesem Fluß allein unter allen Flüssen keine frisch wehenden Winde ausgehen.



***
20.

Nun haben zwar einige Hellenen, welche sich durch ihre Weisheit einen Namen machen wollten, dreierlei Meinungen über dieses Wasser ausgesprochen: zwei derselben halte ich nicht für wert, um näher ihrer zu gedenken, ich will sie daher nur kurz angeben. Die eine derselben nämlich behauptet[2] , die Passatwinde wären die Ursache der Anschwellung des Flusses, indem sie den Nil hindern, in das Meer auszuströmen. Nun wehen aber oftmals diese Winde gar nicht, und der Nil thut doch dasselbe. Dazu kommt noch der Umstand, daß, wenn diese Winde wirklich die Ursache wären, auch die übrigen Flüsse, welche diesen Winden entgegen strömen, in der gleichen Lage sich befinden und dasselbe erleiden müßten, was dem Nil begegnet, und dies um so mehr, je kleiner sie sind und je schwächer die Strömung, welche sie haben: es giebt aber viele Flüsse in Syrien, viele auch in Libyen, bei welchen nichts derart vorkommt, was bei dem Nil sich ereignet.



***
21.

Die andere Meinung ist noch unverständiger als die eben angegebene, ja sozusagen noch wunderlicher: sie behauptet nämlich, es komme dies bei dem Nil daher, daß er aus dem Okeanos fließe, der Okeanos aber fließe um die ganze Erde.[1]



***
22.

Die dritte Meinung[2] , welche bei weitem den meisten Schein für sich hat, ist aber doch durchaus falsch: denn auch sie sagt in der That gar nichts, insofern sie behauptet, der Nil, welcher aus Libyen mitten durch das Land der Äthiopier fließt und dann sich nach Ägypten ergießt, fließe so vom geschmolzenen Schnee. Wie kann aber derselbe vom Schnee so fließen, da er von den wärmsten Gegenden in die kälteren fließt? Gar viele Gründe lassen es einem Manne, der überhaupt über solche Dinge zu urteilen im stande ist, nicht glaublich erscheinen, daß der Nil vom Schnee also anschwelle. Den ersten und hauptsächlichsten Beweis geben die Winde, welche warm aus diesen Gegenden wehen, einen zweiten Beweis bietet der Umstand, daß das Land immer ohne Regen und ohne Eis ist[3] ; würde Schnee gefallen sein, würde es notwendig innerhalb fünf Tagen regnen, so daß, wenn Schnee auf das Land fiele, auch der Regen kommen müßte. Einen dritten Beweis geben die Menschen, welche von der Sonnenhitze schwarz sind. Auch verlassen die Weihen und die Schwalben das ganze Jahr hindurch dieses Land nicht, und die Kraniche, welche den Winter, sowie er im Skythenlande eintritt , fliehen, kommen zur Überwinterung in diese Gegenden. Wenn nun auch nur ganz wenig Schnee in diesem Lande fiele, durch welches der Nil fließt und aus welchem er kommt, so könnte, wie sich dies mit Notwendigkeit herausstellt, nichts von allem dem geschehen.



***
23.

Derjenige aber, welcher hier vom Okeanos gesprochen[1] , kann, da er auf eine dunkle Sage die Sache zurückgeführt hat, nichts beweisen. Denn ich wenigstens kenne keinen wirklichen Fluß Okeanos[2] , ich glaube vielmehr, daß Homer oder irgend einer der früheren Dichter den Namen erfunden und in seine Dichtung eingeführt hat.[3]



***
24.

Wenn ich nun aber, nachdem ich die vorliegenden Meinungen einem Tadel unterworfen, selbst über einen so dunkeln Gegenstand meine Ansicht aussprechen soll, so will ich sagen, warum ich glaube, daß der Nil im Sommer anschwillt. Während der winterlichen Zeit wird die Sonne von ihrer alten Bahn durch die Stürme des Winters zurückgetrieben und kommt so zu den oberen[4] Teilen Libyens. Damit nun ist eigentlich, um es ganz kurz anzugeben, alles gesagt. Denn dasjenige Land, welchem dieser Gott[5] am nächsten steht und bei welchen er verweilt, wird natürlich am meisten nach Wasser dürsten, und werden die einheimischen Ströme vertrocknen müssen.



***
25.

Um es aber ausführlicher zu erklären, so verhält es sich damit also. Wenn die Sonne die oberen Teile Libyens durchzieht, bewirkt sie folgendes. Weil die Luft während der ganzen Zeit in diesen Gegenden rein und die Hitze in dem Lande groß ist, da keine kühlen Winde wehen, so bewirkt die Sonne in ihrem Laufe durch diese Gegenden ungefähr dasselbe, was sie auch im Sommer [bei uns] zu thun pflegt, wenn sie zur Mitte des Himmels kommt: sie zieht nämlich das Wasser an sich, und wenn sie es angezogen hat, treibt sie dasselbe in die oberen[1] Landstriche; da nehmen es dann die Winde auf, zerstreuen es und lösen es auf, und so ist es denn natürlich, daß die Winde, welche von dieser Gegend her wehen, der Südwind und der Südwest, am meisten unter allen Winden Regen bringen. Auch scheint es mir, daß die Sonne nicht all das Wasser des Nils, das sie im Laufe des Jahres an sich zieht, jedesmal wieder von sich fallen läßt, sondern daß sie noch einen Teil bei sich behält, Wenn aber der Winter gelinder wird, so kommt die Sonne wieder mitten an den Himmel, und von nun an zieht sie auf gleiche Weise von allen Flüssen Wasser an sich. Bis dahin nun sind dieselben groß, weil viel Regenwasser sich mit ihnen verbindet infolge des auf das Land fallenden Regens und der es durchströmenden Gießbäche; dagegen während des Sommers, wo ihnen der Regen abgeht und die Sonne das Wasser an sich zieht, sind sie schwach. Der Nil aber, der keinen Regen empfängt, während sein Wasser von der Sonne an sich gezogen wird, fließt darum natürlich während dieser Zeit allein unter allen Flüssen weit schwächer, als in der Sommerszeit: denn dann wird er auf gleiche Weise, wie alle andern Gewässer, angezogen, während er im Winter allein leidet.



***
26.

Demnach habe ich den Glauben, daß die Sonne die Ursache der Überschwemmung des Nils ist. Ebendieselbe ist aber auch nach meiner Ansicht Ursache, daß die Luft dort[2] so trocken ist, weil sie den ganzen Strich, den sie durchläuft, ausbrennt: so herrscht in den oberen Teilen Libyens stets Sommer. Wenn aber der Stand der Jahreszeiten verändert würde und an der Seite des Himmels, wo jetzt der Nordwind und der Winter stehen, der Stand des Südwindes und des Mittags wäre, wo aber der Südwind jetzt steht, der Nordwind seinen Platz hätte — wenn, sage ich, dem also wäre, so würde die Sonne, aus der Mitte des Himmels durch den Winter und Nordwind vertrieben, zu den oberen[1] Teilen Europas kommen, so wie sie jetzt zu den oberen[2] Teilen von Libyen gelangt; wenn sie aber auf diese Weise ganz Europa durchzöge, so würde sie, meine ich, mit dem Ister es ebenso machen, wie sie es jetzt an dem Nil thut.




27.

Was aber die Luft betrifft, daß keine von dem Flusse ausgeht, so bin ich der Ansicht, daß von warmen Gegenden natürlicher Weise doch kein Wind kommen kann; nur von einer kalten Gegend aus pflegt eine kühle Luft zu wehen.



28.

Das mag nun so sein, wie es ist und wie es von Anfang an gewesen ist. Über die Quellen des Nils[3] aber wollte keiner von denen, mit welchen ich darüber mich besprach, weder von den Ägyptern noch von den Libyern noch von den Hellenen, etwas Sicheres wissen, außer in Ägypten in der Stadt Saïs der Schreiber des heiligen Schatzes der Athene[4] ; dieser schien mir jedoch zu scherzen, wenn er behauptete, es genau zu wissen. Er sprach sich nämlich in folgender Weise darüber aus: es wären zwei Berge mit spitz auslaufenden Gipfeln, zwischen der Stadt Syene in der Thebais und Elephantine[5] gelegen; der eine derselben hätte den Namen Krophi, der andere den Namen Mophi: mitten aus diesen Bergen strömten die Quellen des Nils in unergründlicher Tiefe: die eine Hälfte des Wassers fließe in der Richtung nach Ägypten und gegen Norden zu, die andere aber nach Äthiopien hin und südwärts. Daß aber die Quellen unergründlich seien, das habe, so versicherte er, Psammetich, der König von Ägypten, zu versuchen unternommen; er habe nämlich ein Tau von vielen tausend Klaftern Länge flechten lassen und dasselbe dort hinabgelassen, ohne auf den Grund zu kommen. Ist dies nun wirklich der Fall gewesen, wie der Schreiber es erzählte, so lieferte er nach meinem Ermessen damit den Beweis, daß dort gewaltige Wirbel und Gegenströmung sich befinden; weil nun das Wasser stets an den Bergen sich stößt, so konnte wohl das hinabgeworfene Senkblei nicht auf den Grund kommen.



29.

Von keinem andern konnte ich irgend etwas darüber erfahren, sondern nur so viel habe ich, soweit meine Forschung reichte, in Erfahrung gebracht, indem ich bis zur Stadt Elephantine selber als Augenzeuge gekommen bin, von da an aber nur vom Hörensagen berichten kann. Geht man von der Stadt Elephantine weiter aufwärts, so ist die Gegend steil; daher muß man hier an das Fahrzeug von beiden Seiten ein Tau anbinden, wie an einen Ochsen, und so die Reise machen; reißt es aber, so schießt das Fahrzeug, von der Gewalt der Strömung getrieben, hinab. Diese Gegend nimmt eine Fahrt von vier Tagen ein; der Nil hat hier viele Krümmungen, wie der Mäander: zwölf Schoinen sind es, welche man auf diese Weise durchschiffen muß[1] . Dann kommt man in eine ganz flache Gegend, in welcher der Nil um eine Insel herumfließt, welche den Namen Tachompso' führt. Es bewohnen aber das Land von Elephantine aufwärts schon Äthiopier, sowie auch die Hälfte der Insel, die andere Hälfte bewohnen Ägypter. An die Insel stößt ein großer See, um welchen herum wandernde Äthiopier wohnen; hat man diesen See durchschifft, so kommt man in das Strombett des Nils, welcher in diesen See sich ergießt; dann steigt man aus und nimmt den Weg längs des Flusses während vierzig Tagen; denn es ragen spitzige Felsen in dem Nil hervor und sind dort viele Klippen, durch welche die Schifffahrt unmöglich ist. Hat man nun dieses Land in den vierzig Tagen durchzogen, so besteigt man wieder ein anderes Fahrzeug und fährt auf demselben zwölf Tage lang; man gelangt sodann in eine große Stadt, welche den Namen Meroë[1] führt. Diese Stadt wird für die Mutterstadt der übrigen Äthiopier ausgegeben; die darin Wohnenden verehren allein unter den Göttern den Zeus und Dionysos[2] , und diese halten sie in großen Ehren. Auch haben sie dort ein Orakel des Zeus: sie ziehen ins Feld, wenn der Gott durch einen Spruch es ihnen gebietet, und zwar dahin, wohin er gebietet.



30.

Von dieser Stadt gelangt man zu den Automolen in der gleichen Zeit der Fahrt, in der man von Elephantine zu der Mutterstadt der Äthiopier gekommen ist. Diese Automolen (Überläufer) führen den Namen Asmah: es bedeutet aber dieses Wort nach der Sprache der Hellenen soviel als: die zur linken Hand dem Könige stehen. Es waren diese vierundzwanzig Myriaden[3] Ägypter von der Kriegerkaste[4] abgefallen zu den Äthiopiern aus folgender Ursache. Zur Zeit des Königs Psammetichus bestanden Wachen in der Stadt Elephantine nach der Seite Äthiopiens zu, und eine andere Wache in dem Pelusischen Daphnä[5] nach der Seite Arabiens und Syriens und eine zu Marea nach Libyen zu. Noch zu meiner Zeit stehen an denselben Orten Wachen der Perser, wie sie zu Psammetichus Zeit standen: denn zu Elephantine, wie zu Daphnä, halten Perser Wache. Diese ägyptischen Krieger nun hielten drei Jahre lang Wache, ohne daß jemand sie ablöste: da berieten sie sich mit einander , faßten dann den gemeinsamen Entschluß, von Psammetichus allesamt abzufallen, und zogen nach Äthiopien. Als Psammetich dies vernahm, verfolgte er sie, und als er sie eingeholt, bat er sie mit vielen Worten und forderte sie auf, doch nicht die vaterländischen Götter, sowie Weiber und Kinder im Stiche zu lassen. Da soll einer von ihnen auf seine Scham gezeigt und ausgerufen haben, wo nur diese sei, da würden sie schon Weiber und Kinder bekommen[1] . Als sie nun nach Äthiopien gekommen waren, übergaben sie sich dem König der Äthiopier, der sie auf folgende Weise belohnte: er war gerade damals in Streit mit etlichen von den Äthiopiern geraten, und nun forderte er sie auf, diese wegzujagen und ihr Land zu bewohnen. Nachdem sie auf diese Weise unter die Äthiopier eingebürgert worden waren, sind diese milder geworden, indem sie ägyptische Sitten angenommen.



31.-33

Bis zu einer Reise von vier Monaten zu Wasser und zu Lande kennt man demnach den Nil, abgesehen von seinem Lauf in Ägypten. Denn so viele Monate kommen heraus, wenn man zusammenrechnet, was verwendet wird auf die Reise von Elephantine bis zu diesen Automolen. Es fließt aber der Nil von Abend und Sonnenuntergang her. Wie es von da an weitergeht, kann niemand mit Gewißheit angeben: denn es ist dieses Land eine Wüste infolge der Hitze.


***
32.

Folgendes jedoch hörte ich von Männern aus Kyrene, welche behaupteten, zu dem Orakel des Ammon[2] gekommen zu sein und ein Gespräch mit Etearchus, dem König der Ammonier, gehabt zu haben: da wären sie denn nach manchen andern Gesprächen auch auf den Nil zu reden gekommen, wie niemand dessen Quellen kenne, und hätte Etearchus versichert, es seien einstens zu ihm Männer von dem Stamme der Nasamonen[3] gekommen, welches ein libysches Volk ist, das an der Syrte und dem ostwärts von der Syrte gelegenen Lande in keiner großen Entfernung wohnt. Diese Nasamonen seien zu ihm gekommen und hätten auf die Frage, ob sie etwas Näheres von den Wüsten Libyens wüßten, erzählt, es hätten bei ihnen angesehene Männer recht ausgelassene Söhne gehabt, welche, als sie Männer geworden waren, auf manche unnütze Dinge verfielen; und so hätten sie denn auch fünf von ihnen durch das Los erwählt, welche die Wüsten Libyens besichtigen und zusehen sollten, ob sie nicht etwas mehr zu sehen bekämen, als die, welche die entlegensten Gegenden je besehen hätten. An dem Teil von Libyen nämlich, der am nördlichen Meere[1] liegt, von Ägypten angefangen bis zum Vorgebirge Soloeis wo Libyen endet, an dieser ganzen Küstenstrecke wohnen Libyer; und zwar viele Völker der Libyer, außer dem, was Hellenen und Phöniker[3] inne haben. Aber über dem Meere und der am Meere sich hinziehenden Bevölkerung, oberhalb derselben, ist Libyen voll von wilden Tieren, und oberhalb dieses Landstriches der wilden Tiere ist nur Sand und eine völlig wasserlose, von allem entblößte Wüste[4] . Die Jünglinge nun, so erzählten sie, ausgesendet von ihren Kameraden und wohl versehen mit Wasser und Lebensmitteln[5] . zogen zuerst durch das bewohnte Land und kamen, als sie dasselbe durchschritten, in das Land der wilden Tiere; aus diesem zogen sie dann durch die Wüste, indem sie ihren Weg in westlicher Richtung nahmen. Und als sie viel sandiges Land durchzogen hatten und in vielen Tagen, erblickten sie mit einem Mal wieder Bäume, welche in einer Ebene wuchsen: da traten sie herzu und pflückten von der auf den Bäumen[6] befindlichen Frucht; als sie aber pflückten, kamen kleine Männer herbei, nicht einmal von mittlerer Größe[7] , packten sie und schleppten sie weg: es verstanden aber weder die Nasamonen deren Sprache, noch die, welche sie wegschleppten, die der Nasamonen. Sie führten sie dann durch große Sümpfe, und als sie durch dieselben waren, gelangten sie in eine Stadt 1 , deren Bewohner alle an Größe den früheren gleich waren und schwarz von Farbe; längs der Stadt floß ein großer Strom[2] von Abend nach Sonnenaufgang zu und waren Krokodile in demselben zu sehen.



***
33.

In so weit also wäre die Erzählung des Ammoniers Etearchus von mir angegeben; nun fügte er noch hinzu, es wären die Nasamonen zurückgekehrt, wie die Kyrenäer behaupten, und diejenigen, zu welchen sie gekommen, wären lauter Zauberer gewesen. In dem Flusse nun, welcher [an jener Stadt]vorbeifließt, glaubte auch Etearchus den Nil zu erkennen: und erscheint dies auch ganz vernünftig. Denn der Nil kommt aus Libyen, und zwar so, daß er dasselbe in der Mitte durchschneidet, und geht sein Lauf (wie ich vermute, indem ich aus dem, was offenkundig ist, auf das, was noch nicht erkannt ist, schließe) in gleichen Abständen mit dem des Ister[3] . Einerseits nämlich nimmt der Ister, der aus der Kelten Land und von der Stadt Pyrene kommt[4] seinen Lauf so, daß er Europa in der Mitte spaltet; die Kelten wohnen aber außerhalb der Säulen des Herkules[1] und sind die Nachbarn der Kynesier, welche unter allen Bewohnern Europas am äußersten Ende nach Sonnenuntergang wohnen. Es endet aber der Ister, nachdem er ganz Europa durchlaufen, in das Meer des Pontos Euxeinos, da[2] wo milesische Kolonisten Istria bewohnen.




34.

Der Ister nun also wird, weil er durch bewohntes Land fließt, von vielen[3] gekannt, über die Quellen des Nils aber kann niemand etwas angeben: denn das Libyen, durch welches er fließt, ist unbewohnt und öde; was ich jedoch über seinen Lauf durch meine Erkundigung so weit als nur immer möglich erfahren konnte, ist hier angegeben. Seine Mündung ist in Ägypten, Ägypten aber liegt so ziemlich gegenüber dem steinigen Kilikien[4] : von da aber bis nach Sinope, das am Pontos Euxeinos liegt[1] , ist ein gerader [nördlicher] Weg von fünf Tagen für einen rüstigen Fußgänger[2] : Sinope aber liegt gegenüber der Mündung des Ister in das Meer. Sonach glaube ich, daß der Nil durch ganz Libyen in gleicher Weise fließt, wie der Ister [durch Europa]. So viel soll nun über den Nil gesagt sein.



35.-36

Ich komme nun ausführlicher auf Ägypten zu reden, weil es mehr Wunder enthält als jedes andere Land, und im Vergleich mit jedem andern Lande Werke aufweist, die über alle Beschreibung hinausgehen: deswegen wird ein mehreres darüber gesagt werden. Es zeigen nämlich die Ägypter, ebenso wie der Himmel bei ihnen anders ist und der Fluß eine andere Natur hat als die übrigen Flüsse, in ihren Sitten und Gebräuchen großenteils das gerade Gegenteil von dem, was bei den übrigen Menschen vorkommt[3] . Bei ihnen sind die Weiber auf dem Markt und treiben Handel, die Männer dagegen bleiben zu Hause und weben[4] ; es weben aber andere Menschen[5] , indem sie den Einschlag von oben machen, die Ägypter[6] aber von unten. Die Lasten tragen die Männer auf dem Köpfe, die Weiber auf den Schultern. Die Weiber lassen ihr Wasser stehend, die Männer sitzend. Die Notdurft verrichten sie in ihren Häusern[7] , aber die Mahlzeiten nehmen sie außerhalb auf den Straßen und geben dabei als Grund an, was zwar unanständig, aber notwendig sei, das müsse man im Verborgenen thun, was aber nicht unanständig sei, öffentlich. Kein Weib verrichtet priesterliche Geschäfte[1] , weder bei einer männlichen noch bei einer weiblichen Gottheit: bei allen Göttern, männlichen wie weiblichen, sind nur Männer Priester. Die Söhne haben, wenn sie nicht wollen, keine Verbindlichkeit ihre Eltern zu ernähren[2] , wohl aber die Töchter, auch dann, wenn sie es nicht wollen.


***
36.-

An anderen Orten lassen die Priester das Haar wachsen[3] , in Ägypten aber scheren sie sich. Bei den übrigen Menschen ist es Sitte, daß bei einer Trauer die, welche es zunächst angeht, sich das Haupt scheren; die Ägypter aber lassen, sowie ein Todesfall eintritt, am Haupt und am Kinn ihre Haare wachsen, welche sie bis dahin geschoren hatten. Die übrigen Menschen leben durchaus getrennt von den Tieren, die Ägypter aber leben zusammen mit ihren Tieren[4] . Die anderen Menschen leben von Weizen und Gerste, aber für einen Ägypter, der davon seinen Lebensunterhalt nimmt, ist dies die größte Schmach; sie bereiten vielmehr ihr Brot aus Dinkel[5] , den einige Spelt nennen. Sie kneten den Teig mit den Füßen, den Lehm aber mit den Händen, und heben auch den Mist mit denselben auf[1] . Die Schamglieder lassen alle anderen Völker so, wie sie von Natur beschaffen sind; die Ägypter aber und alle die, welche es von ihnen angenommen haben, beschneiden sie[2] . Jeglicher Mann hat zwei Kleider, jedes Weib aber nur eins. Die Ringe der Segel und die Taue binden alle anderen von außen her an, die Ägypter von innen. Buchstaben schreiben und mit Steinchen rechnen die Hellenen, indem sie von der Linken zur Rechten die Hand führen, die Ägypter aber von der Rechten zur Linken: und dabei behaupten sie, sie machten es nach rechts, die Griechen aber nach links. Sie haben übrigens eine doppelte Schrift, die eine ist die heilige, die andere für das Volk[3] .




37.

Sie sind außerordentlich fromm, mehr als alle anderen Menschen, und haben folgende Gebräuche. Sie trinken aus ehernen Bechern, welche sie jeden Tag ausspülen, und thut dies nicht bloß der eine und andere, sondern alle thun es. Sie tragen linnene Kleider, welche stets frisch gewaschen sind, und sehen sie darauf ganz besonders. Die Schamglieder beschneiden sie sich der Reinlichkeit wegen[4] , weil sie es vorziehen, lieber reinlich zu sein, als besser auszusehen. Die Priester scheren sich alle drei Tage am ganzen Leib, damit weder eine Laus noch irgend ein anderes Ungeziefer sich an ihnen zeige bei der Besorgung des Götterdienstes. Es tragen aber die Priester bloß Linnen und Schuhe von Byblus; eine andere Kleidung zu tragen ist ihnen ebensowenig erlaubt, als andere Schuhe. An jedem Tage waschen sie sich mit kaltem Wasser, in jeder Nacht zweimal. So haben sie auch sonst noch, daß ich so spreche, tausend andere Dinge zu besorgen, dafür aber haben sie auch nicht geringe Vorteile. Denn von ihrem Eigentum verzehren sie nichts und haben keine Ausgaben zumachen[1] , sondern heiliges Brot wird ihnen gebacken, und jeder erhält jeden Tag eine große Menge von Rindfleisch und Gänsefleisch[2] ; auch wird ihnen Wein von Reben verabfolgt[3] ; Fische dagegen dürfen sie nicht essen[4] . Bohnen säen die Ägypter in ihrem Lande nicht sehr, und die, welche es dort giebt, genießt man weder roh noch gekocht; die Priester ertragen nicht einmal ihren Anblick, weil sie dieselben für eine unreine Hülsenfrucht halten. Es hat aber jeder Gott nicht bloß einen, sondern viele Priester zu seinem Dienste, unter welchen einer der Oberpriester ist; stirbt derselbe, so tritt der Sohn an dessen Stelle ein[5] .



38.-41

Die Stiere hält man für dem Epaphus[6] heilig und prüft sie deshalb auf folgende Weise: sieht man auch nur ein einziges schwarzes Haar an dem Stier, so gilt er nicht für rein. Es untersucht dies aber einer von den Priestern, welcher dazu bestellt ist, wobei das Tier teils aufrecht steht, teils auf dem Rücken liegt; auch sieht er ihm die Zunge heraus, um zu sehen, ob sie frei ist von den vorher bestimmten Zeichen, welche ich an einer anderen Stelle angeben werde; dann betrachtet er auch die Haare des Schwanzes, ob sie so beschaffen sind, wie sie von Natur sein sollen. Ist nun der Stier rein von allen diesen Dingen, so bezeichnet er ihn durch Byblus, welchen er um die Hörner windet; dann thut er Siegelerde darüber und drückt den Siegelring darauf; und so führt man das Tier weg. Opfert jemand ein nicht auf diese Weise bezeichnetes Tier, so ist die Todesstrafe darauf gesetzt. Auf solche Weise also wird das Tier geprüft.


***
39.

Das Opfer findet bei ihnen in folgender Weise statt. Man führt das bezeichnete Tier zu dem Altar, wo man opfert, und zündet ein Feuer an; alsdann sprengt man auf dem Altar Wein über das Opfertier und schlachtet es unter Anrufung des Gottes; wenn es dann abgeschlachtet ist, schneidet man ihm den Kopf ab. Dem Körper des Tieres zieht man nun die Haut ab; jenen Kopf aber bringt man unter vielen Verwünschungen weg, und zwar bringen ihn diejenigen, welche einen Markt haben und bei denen hellenischen Kaufleute sich einfinden, auf den Markt und verkaufen ihn; sind aber keine Hellenen da, so werfen sie ihn in den Fluß. Sie verfluchen aber die Köpfe, indem sie also sprechen: wenn über sie, die Opfernden, oder über das ganze Ägyterland irgend ein Unglück kommen sollte, so möge es sich auf dieses Haupt wenden[1] . Hinsichtlich der Köpfe nun der geopferten Tiere und der Besprengung mit Wein haben alle Ägypter dieselben Gebräuche in gleicher Weise bei allen Opfern; und von diesem Brauche her kommt es, daß kein Ägypter von dem Kopfe irgend eines lebendigen Wesens essen will.



***
40.

Das Ausweiden der Opfer 2 und die Verbrennung geschieht von ihnen auf verschiedene Weise bei verschiedenen Tempeln. Die Gottheit aber, welche sie für die größte halten und welcher sie das größte Fest feiern, will ich sogleich angeben.... Wenn sie dem Stier die Haut abgezogen haben, so nehmen sie unter Gebeten den Magen ganz heraus, die Eingeweide aber lassen sie dort zurück in dem Leibe, sowie das Fett; dann schneiden sie die Schenkel, den äußersten Teil der Hüfte, die Schultern und den Hals ab. Haben sie dies gethan, so füllen sie den übrigen Leib des Stieres mit reinen Broten, Honig, Rosinen, Feigen, Weihrauch, Myrrhen und anderem Räucherwerk. Und wenn sie damit den Leib gefüllt, verbrennen sie ihn, unter reichlichem Zuguß von Öl. Sie bringen aber das Opfer erst, nachdem sie vorher gefastet haben; bei dem Verbrennen des Opfers schlagen sie sich alle an die Brust; wenn sie damit zu Ende sind, setzt man die Überreste vom Opfer zur Mahlzeit vor.



***
41.

Die reinen Stiere und Stierkälber also opfern alle Ägypter; dagegen ist es nicht erlaubt, die Kühe zu opfern, weil sie der Isis heilig sind. Denn das Bild der Isis, welches eine weibliche Gestalt zeigt, ist mit Rindshörnern versehen, gerade wie die Hellenen die Io abbilden[1] . Die Kühe nämlich verehren auf gleiche Weise alle Ägypter unter allen Tieren bei weitem am meisten. Deswegen würde auch kein ägyptischer Mann und kein Weib einen hellenischen Mann mit dem Mund küssen, noch würden sie das Messer eines Hellenen gebrauchen, noch einen Bratspieß, noch einen Kessel; noch würden sie von dem Fleische eines reinen Ochsen, der mit einem hellenischen Messer zerschnitten ist, kosten. Die gestorbenen Rinder begraben sie auf folgende Weise: die Kühe werfen sie in den Fluß, die Stiere aber begraben sie, und zwar thut dies ein jeder in seiner Vorstadt, auf die gleiche Weise, daß das eine Horn oder auch beide Hörner über das Grab ragen, als Wahrzeichen. Wenn nun der Leib verfault ist und die bestimmte Zeit herannaht, so kommt in jede Stadt ein Kahn von der Insel, welche Prosopitis heißt; diese liegt in dem Delta[2] und hat einen Umfang von neun Schoinen. Auf dieser Insel befinden sich noch andere zahlreiche Ortschaften; der Ort aber, aus welchem die Kähne kommen, um die Gebeine der Ochsen fortzuschaffen, hat den Namen Atarbechis[1] , und in demselben befindet sich ein hochheiliger Tempel der Aphrodite. Aus dieser Stadt ziehen viele Leute herum zu den verschiedenen Städten: sie graben die Knochen heraus, führen sie fort und begraben sie, und zwar alle an einem Ort. Auf dieselbe Weise wie die Rinder begraben sie auch das übrige Vieh, das stirbt; auch mit diesem ist es so bei ihnen Sitte; auch diese Tiere töten sie nicht.




42.

Alle diejenigen nun, welche bei sich einen Tempel des Thebanischen Zeus haben, oder aus der thebanischen Mark sind, enthalten sich der Schafe und opfern Ziegen. Denn es verehren nicht alle Ägypter gleichmäßig die nämlichen Götter, mit Ausnahme der Isis und des Osiris, welchen sie für den Dionysos ausgeben[2] : diese beiden verehren alle gleicherweise. Alle diejenigen aber, welche ein Heiligtum des Mendes haben oder von der mendesischen Mark[3] sind. enthalten sich der Ziegen und opfern Schafe. Die Thebaner nun und alle die, welche um der Thebaner willen sich der Schafe enthalten, geben an, es sei aus folgender Ursache dieser Gebrauch bei ihnen eingeführt worden: Herakles habe durchaus den Zeus sehen wollen, dieser aber habe von ihm nicht gesehen werden wollen. Endlich, als Herakles darauf bestand, sei Zeus darauf verfallen , daß er einem Widder die Haut abzog, den abgeschlagenen Kopf desselben vor sich hielt, dann das Fell anzog und so sich ihm zeigte. Daher kommt es, daß die Ägypter das Standbild des Zeus mit einem Widderkopfe versehen[4] , und nach ihnen auch die Ammonier[1] , welche Kolonisten der Ägypter und Äthiopier sind und eine Sprache reden, die zwischen beiden Sprachen in der Mitte liegt. Wie es mir aber vorkommt, so haben die Ammonier sich auch ihren eigenen Namen danach gegeben: denn Amun[2] nennen die Ägypter den Zeus. Daher opfern auch die Thebaner keine Widder, sondern diese Tiere sind ihnen deshalb heilig. Nur an einem Tage des Jahres, am Feste des Zeus, schlachten sie einen einzigen Widder, ziehen ihm dann die Haut ab und bekleiden damit ebenso das Bild des Zeug, und hernach bringen sie ein anderes Bild des Herakles zu demselben. Haben sie dies gethan, so schlagen sich alle, die um den Tempel sind, klagend an die Brust um den Widder und begraben ihn dann in einer heiligen Grabstätte[3] .



43.-45

Von Herakles aber hörte ich sie folgendes behaupten: er wäre einer von den zwölf Göttern[4] . Aber über den anderen Herakles, welchen die Hellenen kennen, vermochte ich nirgends in Ägypten etwas zu hören. Auch darüber, daß die Ägypter nicht von den Hellenen den Namen des Herakles erhalten haben, sondern vielmehr die Hellenen von den Ägyptern, und zwar diejenigen unter den Hellenen, welche dem Sohne Amphitryons den Namen Herakles gegeben haben, stehen mir manche andere Beweise zu Gebote, daß dem so ist, darunter auch der, daß die beiden Eltern dieses Herakles, Amphitryon und Alkmene, ursprünglich aus Ägypten stammen, und daß die Ägypter weder des Poseidon noch der Dioskuren Namen kennen wollen, auch diese Götter gar nicht unter ihren übrigen Göttern aufgenommen erscheinen. Und dann müßten sie doch wohl, wenn sie wirklich von den Hellenen den Namen irgend eines Gottes angenommen hätten, davon irgend eine Erinnerung bewahren, insofern sie schon damals Seefahrten machten, und auch unter den Hellenen etliche waren, welche die See befuhren, wie ich glaube und bei mir fest überzeugt bin, so daß die Ägypter eher die Namen dieser Götter[1] hätten erfahren müssen, als den Namen des Herakles. Es ist aber der ägyptische Herakles ein gar alter Gott; wie sie selbst behaupten, sind es siebzehntausend Jahre bis zu der Regierung des Amasis[2] , als aus den acht Göttern die zwölf Götter entstanden, für deren einen sie den Herakles halten.


***
44.

Weil ich nun darüber etwas Sicheres erfahren wollte, soweit dies möglich war, fuhr ich auch zu Schiffe nach Tyrus in Phönizien, weil ich hörte, daß dort ein hochheiliger Tempel des Herakles[1] sei; ich sah auch denselben reich ausgestattet mit vielen anderen Weihgeschenken, insbesondere waren in demselben zwei Säulen, die eine von reinem Gold, die andere von einem Smaragdstein[2] , welcher in der Nacht ungemein glänzte. Und da ich zu einer Unterredung mit den Priestern des Gottes kam, so stellte ich an sie die Frage, wie viele Zeit seit der Errichtung des Tempels verflossen sei, fand aber auch bei ihnen keine Übereinstimmung mit den Hellenen. Sie behaupteten nämlich, zugleich mit der Anlage von Tyrus sei auch der Tempel des Gottes errichtet worden, es seien aber zweitausenddreihundert Jahre, seitdem man Tyrus bewohne[3] . Ich sah in Tyrus noch einen anderen Tempel des Herakles, welcher den Beinamen des Thasischen führte. Und wie ich nun auch nach Thasos kam, fand ich dort einen Tempel des Herakles, der von Phöniziern errichtet worden war, welche Thasos gegründet hatten, als sie, um die Europa zu suchen[4] , ausgesegelt waren. Und auch dies geschah ganze fünf Menschenalter früher, ehe Herakles, des Amphitryon Sohn, in Hellas geboren war[1] . Was ich also darüber erforscht habe, zeigt doch wohl klar, daß Herakles ein alter Gott ist; und deshalb glaube ich auch, daß diejenigen Hellenen ganz recht thun, welche einen zwiefachen Dienst des Herakles gegründet haben, indem sie dem einen Herakles als einem unsterblichen Gotte, mit den Beinamen des Olympiers, opfern, dem anderen aber als einem Heros Totenopfer bringen.



***
45.

Wie aber die Hellenen noch manches andere auf unüberlegte Weise erzählen, so ist auch das, was sie von Herakles erzählen, eine einfältige Mär. Als er nämlich nach Ägypten gekommen, so hätten ihn die Ägypter bekränzt und in festlichem Zuge hinausgeführt, um ihn dem Zeus zu opfern; eine Zeitlang nun habe er sich ruhig verhalten, als sie aber an dem Altar mit ihm die Opferung vornehmen wollten, da habe er sich zur Wehr gesetzt und sie alle erschlagen. Wie ich nun aber sehe, sind die Hellenen, wenn sie so etwas erzählen, gänzlich unbekannt mit der Natur und den Gebräuchen der Ägypter. Denn wie sollten diejenigen, welche nicht einmal Tiere opfern dürfen, mit Ausnahme von Schweinen, Stieren, Kälbern, insoweit sie nämlich rein sind, und Gänsen, Menschen opfern? Und wie ist es denkbar, daß Herakles, der nur ein einziger war und dazu noch ein Mensch, wie sie ja selbst angeben, viele Tausende erschlagen habe? So möge uns denn, nachdem wir so vieles über diese Dinge gesprochen, gnädige Nachsicht von seiten der Götter wie der Heroen zu teil werden[2] .




46.

Die Ziegen und Böcke nun opfern die oben genannten Ägypter[3] aus folgender Ursache nicht. Den Pan rechnen die Mendesier unter die acht Götter[1] . und diese acht Götter, behaupten sie, seien vor den zwölf Göttern dagewesen; sein Bild aber malen und meißeln die Maler und Bildhauer gerade so wie die Hellenen, mit einem Ziegengesicht und mit Bocksfüßen, ohne daß sie jedoch glauben, daß er wirklich so aussieht, sondern weil sie ihn ähnlich den übrigen Göttern darstellen wollen[2] . Warum sie ihn aber so darstellen, möchte ich nicht gern angeben[3] . Es verehren aber die Mendesier alle Ziegen, und zwar die männlichen mehr als die weiblichen, und stehen auch die Hirten derselben in größeren Ehren. Insbesondere aber wird einer von diesen Böcken verehrt, der, wenn er gestorben ist, in der ganzen mendesischen Mark sehr betrauert wird. Es begab sich aber zu meiner Zeit in diesem Gau folgendes Wunder: ein Bock vermischte sich mit einem Weibe öffentlich, und es kam dies so zu aller Menschen Kenntnis.



47.-48

Das Schwein aber halten die Ägypter für ein unreines Tier[4] . Wenn daher einer von ihnen im Vorbeigehen ein Schwein berührt hat, so geht er an den Fluß und taucht mitsamt den Kleidern unter. Es treten aber auch die Schweinehirten, welche eingeborene Ägypter sind, allein unter allen in keinen Tempel in Ägypten ein, und niemand will ihnen eine Tochter zur Ehe geben oder aus ihnen eine Tochter aufnehmen, sondern die Schweinehirten verheiraten sich nur untereinander. Den übrigen Göttern nun Schweine zu opfern, halten die Ägypter für unrecht, nur der Selene und dem Dionysos[1] opfern sie zu derselben Zeit, an demselben Vollmond, Schweine und essen von dem Fleisch. Warum sie nun vor den Schweinen bei den übrigen Festen einen solchen Widerwillen haben, an diesem Feste aber sie opfern, darüber wird von den Ägyptern eine Sage erzählt, die ich zwar kenne, es steht mir jedoch nicht wohl an, dieselbe zu berichten.[2] Es findet aber dieses Schweineopfer der Selene in folgender Weise statt: ist das Schwein geschlachtet, so legt man die Spitze des Schwanzes, die Milz und das Netz zusammen , umhüllt es nun mit all dem Fette des Tieres, das am Unterleib sich befindet, und wirft es dann ins Feuer; das übrige Fleisch verzehrt man an dem Vollmond, an welchem das Opfer stattfindet; an einem anderen Tage würde man nicht mehr davon essen. Die Armen unter ihnen formen aus Dürftigkeit Schweine aus Teig, backen dieselben und bringen sie dann als Opfer dar.[3]


***
48.

Dem Dionysos schlachtet am Vorabend des Festes ein jeder ein Ferkel vor seiner Thüre und läßt es dann durch den Schweinehirten selbst, von dem er es gekauft hat, wegschaffen. Im übrigen feiern die Ägypter das Fest des Dionysos beinahe ganz so wie die Hellenen, mit Ausnahme der Chöre; statt der Phallen haben sie andere Götterbilder erfunden, etwa von der Größe einer Elle, welche mit einem Faden gezogen werden; die Weiber ziehen damit herum in den Dörfern, wobei das Schamglied, das nicht viel kleiner ist als der übrige Körper, sich bewegt. Voraus marschiert ein Flötenspieler; ihm folgen die Weiber, besingend den Dionysos. Warum er aber ein größeres Schamglied hat und dasselbe allein am Körper bewegt, darüber erzählen sie eine heilige Sage[1] .




49.

Wie es mir nun scheint, war bereits Melampus[2] , des Amythaon Sohn, nicht unbekannt mit diesem Opferdienst, sondern dessen wohl kundig. Denn er ist es ja, der bei den Hellenen den Namen des Dionysos und dessen Opferdienst, sowie den Festzug des Phallus eingeführt hat. Zwar hat er streng genommen noch nicht die ganze Lehre im Zusammenhang genau dargelegt, sondern die Weisen, die nach ihm kamen[3] , haben es in größerem Umfang gethan, aber den Phallus, welcher dem Dionysos zu Ehren in festlichem Zuge getragen wird, hat jedenfalls Melampus eingeführt, und von ihm haben die Hellenen gelernt das zu thun, was sie dabei thun. Ich behaupte nun, daß Melampus, der ein weiser Mannbar und sich die Kunst zu weissagen verschafft hatte, aus Ägypten nicht nur manches andere, das er dort kennen gelernt, bei den Hellenen eingeführt hat, sondern auch den Kult des Dionysos, mit nur geringen Änderungen. Ich will damit jedoch nicht behaupten, daß das, was in Ägypten zu Ehren des Gottes geschieht, ganz zusammentrifft mit dem, was bei den Hellenen geschieht; denn es wäre dann etwas der hellenischen Sitte Gleichartiges und nicht erst neuerlich Eingeführtes. Auch will ich keineswegs damit sagen, daß die Ägypter von den Hellenen diesen oder irgend einen anderen Brauch empfangen hätten; ich glaube vielmehr, daß Melampus den Dienst des Dionysos zunächst von dem Tyrier Kadmos und den Phöniziern, die mit ihm in das Land, das jetzt Böotien heißt, gekommen waren, kennen gelernt hat.



50.

Es sind aber auch fast alle Namen der Götter aus Ägypten nach Hellas gekommen. Denn daß dieselben aus der Fremde gekommen sind, finde ich durch meine Erkundigung bestätigt, und so glaube ich eben, daß sie zunächst aus Ägypten gekommen sind. Denn mit Ausnahme des Poseidon und der Dioskuren, wie dies auch schon früher[1] von mir bemerkt worden ist, ferner der Here, der Hestia, der Themis, der Charitinnen und Nereïden, finden sich die Namen der übrigen Götter bei den Ägyptern von jeher im Lande. Ich sage aber in der That nur das, was die Ägypter selbst sagen. Diejenigen Gottheiten jedoch, deren Namen sie nicht zu kennen behaupten, scheinen ihre Namen von den Pelasgern erhalten zu haben, ausgenommen Poseidon, welchen Gott sie von den Libyern kennen gelernt haben; denn kein Volk besitzt von Anfang an den Namen des Poseidon, außer die Libyer, welche diesen Gott stets verehren. Einen Dienst der Heroen aber kennen die Ägypter durchaus nicht.



51.

Dieses also und noch anderes dazu, was ich angeben werde, haben die Hellenen von den Ägyptern angenommen. Daß sie aber die Bilder des Hermes[2] mit aufrechtstehenden Schamgliede fertigen, haben sie nicht von den Ägyptern gelernt, sondern von den Pelasgern haben es zuerst unter allen Hellenen die Athener angenommen, und von diesen die übrigen. Denn es wohnten mit den Athenern, die damals bereits zu den Hellenen zählten[1] , Pelasger zusammen im Lande, daher sie auch anfingen für Hellenen zu gelten. Wer aber in den Geheimdienst der Kabiren eingeweiht ist, welchen die Samothraker[2] , die ihn von den Pelasgern angenommen haben, feiern, der versteht, was ich sage. Denn Samothrake bewohnten früher diese Pelasger, die dann auch mit den Athenern zusammenwohnten, und von diesen (Palasgern) empfingen die Samothraker den Geheimdienst. So haben also zuerst unter den Hellenen die Athener die Bilder des Hermes mit aufrechtstehendem Schamglied fertigen lassen, nachdem sie dies von den Pelasgern gelernt hatten. Es haben aber die Pelasger darüber eine heilige Sage erzählt, welche in den Mysterien zu Samothrake offenbart wird[3] .



52.

Es verrichteten früher die Pelasger alle Opfer unter Gebet zu den Göttern, wie ich zu Dodona vernommen habe, aber sie hatten für keinen der Götter einen Namen oder Beinamen, weil sie solche noch nicht gehört hatten[4] . Götter aber (d. i. Ordner) nannten sie dieselben darnach, daß sie alle Dinge in Ordnung gebracht und alles gehörig verteilt hätten. Erst später, nachdem geraume Zeit verstrichen war, erfuhren sie die aus Ägypten gekommenen Namen der übrigen Götter, weit später noch den des Dionysos. Und nach einiger Zeit wendeten sie sich an das Orakel zu Dodona wegen der Namen; dieses Orakel nämlich gilt für das älteste unter den hellenischen Orakeln und war damals das einzige[1] . Als nun die Pelasger das Orakel zu Dodona befragten, ob sie die Namen, die aus der Fremde gekommen, annehmen sollten, gab das Orakel den Ausspruch, sie anzunehmen. Von dieser Zeit an wendeten sie die Namen der Götter beim Opfer an; von den Pelasgern aber haben die Hellenen später dieselben angenommen.



53.

Woher aber ein jeglicher der Götter stammt, und ob sie alle immer da waren und von welcher Gestalt sie sind, das wissen sie, sozusagen, erst seit gestern und vorgestern[2] . Denn Hesiodus und Homerus , die, wie ich glaube, nur um vierhundert Jahre und nicht mehr älter sind als ich[1] , sind es, welche den Griechen ihr Göttergeschlecht geschaffen, den Göttern ihre Namen gegeben, sowie Ehren und Künste unter sie verteilt und ihre Gestalten bezeichnet haben. Die Dichter aber, welche angeblich vor diesen beiden Männern gelebt haben[2] , sind, nach meiner Meinung wenigstens, erst nach denselben aufgetreten. Und jenes, das erste, sagen die Priesterinnen zu Dodona, das letztere, was auf Hesiodus und Homerus sich bezieht, sage ich[1] .



54.-57

Hinsichtlich der beiden Orakel, dessen (zu Dodona) bei den Hellenen und dessen in Libyen, geben die Ägypter folgendes an. Zwei priesterliche Frauen, erzählten die Priester des Thebäischen Zeus, wären von Theben durch Phönizier entführt worden; die eine derselben wäre, wie sie erfahren, nach Libyen verkauft worden, die andere nach Hellas, und diese Frauen seien es, die zuerst die Orakel bei den genannten Völkern gestiftet hätten. Als ich aber an sie die Frage stellte, woher sie dies so bestimmt wüßten, gaben sie darauf die Versicherung, daß sie nach diesen Frauen eine große Nachforschung gehalten, aber nicht im stande gewesen, dieselben aufzufinden; später erst hätten sie das, was sie mir erzählten, darüber in Erfahrung gebracht.


***
55.

Solches nun hörte ich von den Priestern zu Theben, folgendes aber erzählten die Priesterinnen zu Dodona: zwei schwarze Tauben wären aus dem ägyptischen Theben weggeflogen, von welchen die eine nach Libyen, die andere zu ihnen gekommen; diese hätte, auf einer Eiche sitzend, in menschlicher Stimme geredet 3 , es müsse hier ein Orakel des Zeus errichtet werden. Dieses Wort hätten sie für ein göttliches Gebot genommen und hiernach also gethan. Die andere Taube aber, welche nach Libyen gekommen war, hätte, so erzählten sie, den Libyern geboten, ein Orakel des Ammon zu gründen; es ist aber auch dies ein Orakel des Zeus. Dieses erzählten die Priesterinnen zu Dodona, von welchen die älteste den Namen Promeneia hatte, die nach ihr kommende Timarete und die jüngste Nikandra hieß; es stimmten aber damit auch die übrigen Dodonäer überein, welche um das Heiligtum wohnen[1] .



***
56.

Ich habe aber darüber folgende Ansicht. Wenn wirklich die Phönizier diese heiligen Frauen entführt und die eine derselben nach Libyen, die andere nach Hellas verkauft haben, so glaube ich, daß die eine an die Thesproter im jetzigen Hellas, das früher auch Pelasgien hieß, verkauft ward und dann, noch während sie in Knechtschaft war, unter einer natürlichen Eiche ein Heiligtum des Zeus gründete, wie es denn natürlich war, daß sie, die zu Theben im Tempel des Zeus diente[2] , an dem Orte, wohin sie nachher kam, dessen eingedenk war. Und als sie dann die hellenische Sprache verstehen gelernt, richtete sie ein Orakel ein; ihre Schwester aber, erzählte sie dann, wäre nach Libyen von denselben Phöniziern verkauft worden, von welchen auch sie verkauft worden war.



***
57.

Tauben aber wurden, meiner Ansicht nach, deshalb diese Frauen von den Dodonäern genannt, weil sie Ausländerinnen waren und deren Sprache ihnen vorkam wie die der Vögel; als aber nach einiger Zeit das Weib in einer ihnen verständlichen Sprache redete, da, sagten sie, hätte die Taube in menschlicher Stimme geredet; solange sie nämlich die fremde Sprache redete, däuchte sie ihnen wie ein Vogel zu sprechen[1] . Denn auf welche Weise hätte wohl je eine Taube mit menschlicher Stimme zu reden vermocht? Wenn sie aber die Taube schwarz nennen, so deuten sie damit an, daß es eine ägyptische Frau war.




58.-59

So ist also die Weissagung in dem ägyptischen Theben und zu Dodona wohl einander ähnlich; es ist aber auch die Weissagung, welche aus den Opfern geschieht, von Ägypten [nach Hellas] gekommen. Ebenso sind es auch die Ägypter, welche zuerst unter den Menschen festliche Versammlungen und Aufzüge und Bittgänge[2] veranstaltet haben; von ihnen haben es dann die Hellenen gelernt. Ein Beweis dafür ist mir der Umstand, daß dies offenbar seit gar langer Zeit bei ihnen stattfindet, während es bei den Hellenen erst neuerdings aufgenommen worden ist.


***
59.

Festliche Versammlungen aber halten die Ägypter nicht bloß einmal im Jahre ab, sondern oftmals, insbesondere am eifrigsten zu Ehren der Artemis in der Stadt Bubastis[3] , dann auch zu Ehren der Isis in der Stadt Busiris[4] ; denn in dieser Stadt ist das größte Heiligtum der Isis, die Stadt selbst liegt in Ägypten mitten im Delta[5] . Isis aber heißt in der Sprache der Hellenen Demeter[1] . Zum dritten versammeln sie sich in der Stadt Saïs zu einem Feste der Athene[2] , zum vierten in Heliopolis, zu Ehren des Helios, zum fünften in der Stadt Buto zu Ehren der Leto, zum sechsten in der Stadt Papremis zu Ehren des Ares[3] .




60.

Wenn sie nun nach der Stadt Bubastis[4] fahren, thun sie folgendes: es fahren Männer und Weiber zusammen, von beiden eine ansehnliche Menge in jedem Kahn; einige von den Weibern haben Klappern und klappern damit; die Männer spielen bei der ganzen Fahrt auf der Flöte: die übrigen Weiber und Männer singen und klatschen in die Hände[5] . Wenn sie nun auf ihrer Fahrt an eine andere Stadt kommen, nähern sie den Kahn dem Lande und thun also: einige von den Weibern thun das, was ich gesagt habe, andere necken die in dieser Stadt befindlichen Weiber mit Geschrei, andere tanzen, andere erheben sich und halten ihre Kleider in die Höhe. So machen sie es bei jeder Stadt, welche am Fluß liegt; wenn sie dann nach Bubastis gekommen sind, so begehen sie das Fest[6] mit Darbringung großer Opfer, und wird bei diesem Feste mehr Wein von Reben[1] verbraucht, als in dem ganzen übrigen Jahre. Es kommen aber zusammen Männer und Weiber, abgesehen von Kindern, gegen siebzig Myriaden[2] , wie die Eingeborenen versichern .



61.

Also geschieht es dorten. Wie sie aber in der Stadt Busiris der Isis zu Ehren ein Fest feiern, ist schon früher[3] von mir angegeben worden. Nach dem Opfer nämlich schlagen sich alle Männer und Weiber an die Brust, gar viele Tausende von Menschen; welchem Gott zu Ehren sie dies thun, darf ich jedoch nicht sagen[4] . Alle Karer aber, die in Ägypten wohnen, thun noch viel mehr als dies, insofern sie sich sogar mit Messern an die Stirne schlagen und dadurch zu erkennen geben, daß sie Fremde sind und keine Ägypter.



62.

Wenn sie aber in der Stadt Saïs[5] sich versammeln, zünden alle in der Nacht des Opfers viele Lampen rings um die Wohnungen unter freiem Himmel an; diese Lampen sind Gefäße, mit Salz und Öl angefüllt, und oben darauf befindet sich der Docht. Das brennt nun die ganze Nacht hindurch, und daher hat das Fest den Namen der brennenden Lampen. Diejenigen Ägypter aber, welche zu dieser Festversammlung nicht kommen können, warten die Nacht des Opfers ab und zünden dann alle ebenfalls die Lampen an, so daß auf diese Weise nicht bloß in Saïs die Lampen brennen, sondern durch ganz Ägypten. Weshalb nun diese Nacht erleuchtet und in solchen Ehren gehalten wird, darüber wird eine heilige Sage erzählt.



63.-64

Nach Heliopolis[1] und Buto[2] gehen sie bloß um Opfer darzubringen, zu Papremis[3] aber bringen sie Opfer und halten Gottesdienst, wie auch anderwärts. Wenn nämlich die Sonne sich zum Untergang neigt, sind einige wenige von den Priestern um das Götterbild beschäftigt, die meisten derselben stehen, mit hölzernen Keulen versehen, an dem Eingange des Tempels; andere, die damit Gelübde erfüllen, mehr als tausend Männer, welche ebenfalls alle mit Keulen versehen sind, stehen dicht gedrängt auf der anderen Seite. Des Tags zuvor nun bringen sie das Götterbild, welches in einem kleinen hölzernen, vergoldeten Tempelhaus sich befindet[4] , heraus in ein anderes heiliges Gebäude. Die wenigen nun, welche bei dem Bilde zurückgeblieben sind, ziehen einen vierrädrigen Wagen, welcher das Tempelhaus mit dem darin befindlichen Götterbilde enthält. Die anderen aber, welche in dem Vorhof stehen, wollen den Eintritt nicht gestatten, allein die, welche das Gelübde darbringen, wollen dem Gotte beistehen und schlagen auf jene los, und die wehren sich. Da entsteht denn ein gewaltiger Kampf mit den Keulen; sie zerschlagen sich die Köpfe und es sterben sogar, wie ich glaube, viele an ihren Wunden, obgleich die Ägypter behaupten, es sterbe niemand.



64.

Dieses Fest, erzählen die Eingeborenen, wäre aus folgender Ursache bei ihnen aufgekommen: in diesem Tempel wohne die Mutter des Ares; dieser, in der Fremde erzogen, sei dann als erwachsener Mann gekommen, um seiner Mutter beizuwohnen; die Diener der Mutter, die ihn vorher gar nicht gesehen, hätten ihn aber nicht hereinlassen wollen, sondern den Eingang verwehrt; da habe er aus einer an deren Stadt Menschen mitgebracht, den Dienern übel mitgespielt und sei dann zu seiner Mutter gegangen. Daher, behaupten sie, sei zu Ehren des Ares diese Schlägerei bei seinem Feste eingeführt worden[1] . Auch das Verbot[2] mit Weibern , Umgang zu pflegen

Das hier beschriebene Fest des Ares hat, namentlich was die hier näher geschilderte Kampfscene betrifft, seine tiefere symbolische Bedeutung, welche aus den einzelnen hier bemerkten Zügen kaum mehr mit einiger Sicherheit sich ermitteln läßt, aber immerhin in Verbindung steht mit dem Wesen des Gottes, dem das Fest gefeiert wird, und dadurch mit der natürlichen Beschaffenheit des ägyptischen Landes und der in ihm wirkenden, sein Gedeihen und seine physische Wohlfahrt bedingenden Kräfte der Natur. Dieser Gott, welchen Herodot hier, wie Kap. 59, mit dem griechischen Namen des Ares bezeichnet, dem er auch weiter unten (II, 82) eine Orakelung zuweist, kann nicht sowohl als der hellenische Kriegsgott aufgefaßt werden, sondern als eine Naturgottheit, aber auch nicht mit dem ägyptischen Horus identifiziert werden, den Herodot II, 144 als den Apollo der Griechen bezeichnet; eher dürfte man daher an diejenige Gottheit denken, welche bei den Ägyptern Sep, Seph, Harseph (daher das Griechische greck bei Plutarch, Über Isis und Osiris, Kap. 37) heißt und als eine Personifikation der zeugenden und schaffenden Naturkraft genommen wird. Seine Mutter, der er beiwohnen will, wird dann keine andere sein, als die zu Saïs verehrte Neith-Athene (s. d. zu Note II 62). Die hellenische Mythe von der Verbindung des Ares mit der Aphrodite (vgl Homer, Odyssee VIII, 266 ff.), oder die Verbindung, in welche in der altattischen Mythe Hephästos mit Athene gebracht wurde, bietet analoge Erscheinungen dar. in den Tempeln, oder ungewaschen nach weiblichem Umgang in Tempel zu treten, haben die Ägypter zuerst eingeführt. Denn fast alle anderen Menschen, außer den Ägyptern und Hellenen, pflegen Umgang mit Weibern in den Tempeln und erheben sich von den Weibern ungewaschen zum Eintritt in einen Tempel, weil sie glauben, es verhalte sich mit den Menschen ebenso wie mit den übrigen Tieren: denn man sähe ja auch die anderen Tiere und Vogelarten sich begatten in den Tempelhäusern der Götter und heiligen Räumen. Wäre dies der Gottheit nicht angenehm, so würden es diese Tiere auch nicht thun.



65.

Ein solcher Grund, nach welchem sie also handeln, gefällt mir aber nicht. Die Ägypter dagegen sind in allem, was den heiligen Dienst betrifft, außerordentlich fromm, insbesondere auch in folgendem. Obwohl Ägypten an Libyen angrenzt, ist es doch nicht so reich an Tieren; diejenigen aber, welche daselbst sind, gelten alle für heilig; einige von ihnen leben mit den Menschen zusammen, andere aber nicht. Wollte ich aber angeben, warum sie für heilig gelten, so würde ich mit meiner Erzählung in die göttlichen Dinge geraten, die ich zu erörtern so sehr vermeide; wo ich dieselben aber berührt und infolge dessen einiges berichtet habe, da habe ich es von der Notwendigkeit gedrängt gethan[1] . Hinsichtlich der Tiere nun besteht folgende Einrichtung. Es sind Wärter bestellt, welche für die Nahrung derselben, und zwar getrennt für ein jegliches Tier, sorgen, männliche wie weibliche Ägypter, und übernimmt der Sohn dieses Amt vom Vater[2] . Die nun in den Städten wohnen, entrichten ihnen alle... folgendes Gelübde. Sie flehen zu dem Gott, dem das Tier heilig ist, scheren ihren Kindern entweder den ganzen Kopf oder den dritten Teil des Kopfes und wägen die Haare nach dem Gewicht gegen Silber ab; was dabei herauskommt, das giebt man der Wärterin der Tiere. Diese zerschneidet dafür Fische und giebt sie den Tieren zum Futter. Auf solche Weise ist es mit dem Unterhalt der Tiere bei ihnen bestellt. Tötet jemand eines von diesen Tieren, so erfolgt der Tod als Strafe, wenn es mit Willen geschehen ist; hat er es nicht aus Vorsatz gethan, so hat er eine Buße zu entrichten, welche die Priester bestimmen. Wer aber einen I'bis[1] oder einen Habicht[2] tötet, es sei mit oder ohne Willen, der verfällt unabänderlich dem Tode.



66.

Obgleich es nun viele Tiere bei ihnen giebt, welche mit den Menschen zusammenleben, so würde es doch noch weit mehr geben, wenn nicht folgendes mit den Katzen[3] vorginge. Wenn die Weibchen geboren haben, so gehen sie nicht mehr zu den Männchen, und diese, wenn sie sich mit ihnen begatten wollen, können es nicht. So wenden sie nun folgende List an: sie rauben den Weibchen ihre Jungen, nehmen sie heimlich weg und bringen sie um, fressen aber die toten Jungen nicht. Die ihrer Jungen beraubten Weibchen kommen dann, weil es sie nach anderen Jungen verlangt, wieder zu den Männchen; denn es liebt das Tier von Natur die Jungen. Entsteht aber eine Feuersbrunst, so geht es mit den Katzen wunderlich zu; die Ägypter nämlich stehen in gewissen Zwischenräumen da und geben acht auf die Katzen, ohne sich um das Löschen des Brandes zu kümmern; die Katzen aber schlüpfen hindurch oder springen über die Leute weg und stürzen sich in das Feuer. Wenn dies geschieht, so tragen die Ägypter großes Leid, und stirbt in einem Hause eine Katze von selbst, so scheren sich alle Bewohner des Hauses bloß die Augenbrauen, stirbt aber ein Hund, so scheren sie sich den ganzen Leib und den Kopf.



67.

Die gestorbenen Katzen schaffen sie weg in geheiligte Kammern, wo sie einbalsamiert und dann begraben werden bei der Stadt Bubastis[1] ; die Hunde dagegen begraben sie, ein jeder bei seiner Stadt; in heiligen Grabstätten. Ebenso wie die Hunde begräbt man auch den Ichneumon; die Spitzmäuse und die Habichte bringt man nach der Stadt Buto[2][4] , die Ibisse nach Hermupolis[3] , die Bären , welche selten sind, und die Luchse[5] , welche nicht viel größer sind als die Füchse, begräbt man da, wo man sie liegen gefunden hat.



68.-70

Die Krokodile[6] haben folgende Beschaffenheit. Während der vier Wintermonate nimmt dasselbe gar keine Nahrung zu sich, und obwohl es ein vierfüßiges Tier ist, lebt es doch auf dem Lande so gut wie im Wasser; es legt nämlich Eier auf dem Lande und brütet sie aus, auch bringt es den größten Teil des Tages auf dem Trockenen zu, dagegen die ganze Nacht in dem Flusse, weil das Wasser dann allerdings wärmer ist als die freie Lust und der Tau. Unter allen Tieren, die wir kennen, wird es aus dem geringsten das größte; denn es legt Eier, die nicht viel größer sind als Gänseeier, und das Junge kommt auf die Welt nach dem Maße des Eies[1] , kommt aber dann ins Wachsen fortwährend bis zu einer Größe von siebzehn Ellen[2] und noch mehr. Es hat Schweinsaugen und große, hervorstehende Zähne, nach Verhältnis seines Körpers; ferner ist es das einzige unter allen Tieren, dem keine Zunge[3] gewachsen ist, und es bewegt auch nicht die untere Kinnlade, sondern auch darin ist es das einzige unten allen Tieren, daß es die obere Kinnlade zu der unteren bringt. Es hat auch gewaltige Klauen und eine schuppige, undurchdringliche Haut auf den Rücken. Im Wasser ist es blind, in der freien Luft aber sieht es sehr scharf. Weil es nun eben gewöhnlich im Wasser lebt, so hat es den Mund inwendig ganz voll von Blutegeln[4] . Die anderen Tiere und Vögel nun fliehen vor ihm, nur mit dem Trochilus lebt es in Frieden, weil es von ihm allerdings Nutzen zieht. Denn wenn das Krokodil aus dem Wasser ans Land geht und dann seinen Rachen aufreißt, was es meist gegen den Westwind zu thun pflegt, so schlüpft der Trochilus in seinen Rachen und verschluckt die Blutegel; das Krokodil hat daran seinen Gefallen und thut dem Trochilus kein Leid an.


***
60.

Einige Ägypter nun halten das Krokodil heilig, andere nicht, sondern behandeln es als Feind[5] diejenigen, welche um Theben und den See Möris wohnen, hatten es für sehr heilig. Es unterhalten auch beide Bevölkerungen eins von den Krokodilen, welches abgerichtet wird, so daß man es anfassen kann; man hängt ihm in die Ohren allerlei Schmuck aus Stein und Gold und legt ihm Armbänder an die vorderen Füße, reicht ihm auch vorgeschriebene Speisen und Opfertiere, kurz, man pflegt es im Leben aufs herrlichste, und wenn es gestorben ist, wird es einbalsamiert und in heiligen Grabstätten begraben[1] . Diejenigen, welche um Elephantine[2] wohnen, essen sie auch, weil sie dieselben nicht für heilig halten: sie heißen aber nicht Krokodile, sondern Champsä; den Namen Krokodile [Eidechsen]haben ihnen die Jonier[3] gegeben, nach der Ähnlichkeit der Gestalt mit den Krokodilen [Eidechsen], welche bei ihnen in den Hecken sich aufhalten.



***
70.

Ihr Fang findet auf vielerlei und mannigfache Weise statt; ich gebe hier nur diejenige an, welche mir der Erzählung am würdigsten zu sein scheint. Man hängt einen Schweinsrücken als Köder an eine Angel und läßt ihn dann mitten in den Fluß hinunter; an dem Rande des Flusses steht einer von den Jägern mit einem lebendigen Ferkel und schlägt dasselbe; sowie nun das Krokodil die Stimme (des Ferkels) vernimmt, eilt es der Stimme zu, stößt dann auf den Rücken und verschlingt ihn, worauf die Leute am Lande ziehen. Wenn es dann ans Land gezogen ist, so verklebt ihm zuerst der Jäger die Augen mit Lehm; hat er dies bewerkstelligt, so bekommt er es im übrigen ganz leicht in seine Gewalt; ist ihm dies aber nicht gelungen, nur mit Mühe.




71.

Die Flußpferde sind heilig in der Mark von Papremis[4] , bei den übrigen Ägyptern gelten sie nicht für heilig. Sie haben von Natur folgende Gestalt: es ist ein vierfüßiges Tier mit gespaltenen Klauen [und Rindzhufen], stumpfnasig und mit der Mähne eines Pferdes, hervorstehenden Hauern, dem Schwanz und der Stimme eines Pferdes, und so groß wie der größte Ochs; seine Haut aber ist in der That so dick, daß man, wenn sie getrocknet ist, daraus glatte Lanzenschäfte verfertigen kann[1] .



72.

Auch Fischottern[2] giebt es in dem Flusse, welche man für heilig hält. Unter allen Fischen aber gilt der sogenannte Schuppenfisch und der Aal für heilig; diese nämlich, sagen sie, wären dem Nil geheiligt, sowie auch von den Vögeln die Fuchsgänse[3] .



73.

Es giebt auch noch einen anderen heiligen Vogel, welcher den Namen Phönix hat; ich sah ihn zwar nur im Bilde[4] , denn er kommt gar selten zu ihnen, alle fünfhundert Jahre, wie die Heliopoliten erzählen; es heißt, er komme dann, wenn sein Vater gestorben ist. Er ist aber, wenn er seinem Bilde ähnlich ist, von folgender Größe und Beschaffenheit: ein Teil seiner Flügel ist goldfarbig, ein aderer Teil rot, und er ist in seiner äußeren Gestalt und Größe dem Adler außerordentlich ähnlich. Von diesem Vogel erzählen sie, was ich jedoch nicht glauben kann, folgenden sinnreichen Einfall: er komme aus Arabien und bringe seinen Vater in Myrrhen eingewickelt in das Heiligtum des Helios, und in diesem Heiligtume begrabe er ihn; er bringe ihn aber dahin auf folgende Weise: zuerst bildet er ein Ei von Myrrhen, so groß als er es zu tragen im stande ist, und versucht sich dann im Tragen desselben; hat er sich darin genug versucht, so höhlt er das Ei aus und legt seinen Vater hinein, da aber, wo er das Ei gehöhlt und hineingelegt hat, umhüllt er es mit anderer Myrrhe, und wenn dann der Vater darinliegt, so ist es ebenso schwer wie zuvor; so eingewickelt trägt er den Vater gen Ägypten in das Heiligtum des Helios[1] . Also, erzählen sie, mache es dieser Vogel.



74.-75

Um Theben giebt es heilige Schlangen[2] , die aber den Menschen nichts anthun; sie sind von Gestalt klein und tragen zwei Hörner, welche oben aus dem Kopfe herausgewachsen sind; diese begräbt man, wenn sie gestorben sind, in dem Heiligtum des Zeus, denn sie gelten für heilig diesem Gotte.


***
75.

Es ist auch eine Gegend Arabiens ungefähr bei der Stadt Buto[3] gelegen; in diese Gegend begab ich mich, um über die geflügelten Schlangen[4] Kunde einzuziehen. Wie ich aber dort ankam, sah ich Knochen von Schlangen und Rückgrate, so viele, daß ich es nicht zu beschreiben vermag: es waren Haufen von Rückgraten, große und geringere, und noch kleinere als diese, die letzteren besonders zahlreich. Diese Gegend nun, in welcher die Rückgrate aufgeschichtet sind, hat folgende Beschaffenheit: es ist ein enger Eingang aus Bergen in eine große Ebene, und diese Ebene hängt mit der ägyptischen Ebene zusammen. Nun geht die Sage, daß mit dem Eintritt des Frühjahres geflügelte Schlangen aus Arabien geflogen kämen gen Ägypten: die Ibisvögel kämen ihnen an dem Eingange dieses Landes entgegen und ließen die Schlangen nicht herein, sondern brächten sie um. Um dieser Thätigkeit willen sei auch, behaupten die Araber, der Ibis so hoch geehrt von den Ägyptern; damit stimmt auch die Angabe der Ägypter überein, wonach sie deshalb diesen Vogel so ehren.




76.

Die Gestalt des Ibis ist folgende: er ist völlig schwarz am ganzen Körper, hat die Schenkel eines Kranichs, einen ganz gekrümmten Schnabel, und ist so groß wie der Vogel Krex. Also sehen die schwarzen aus, welche mit den Schlangen den Kampf haben. Diejenigen aber, welche mehr unter den Menschen verkehren (denn es giebt allerdings zweierlei Arten des Ibis)[1] , sind glatt am Kopfe und am ganzen Halse, ihr Gefieder ist von weißer Farbe, außer am Kopfe, am Nacken, an der Spitze der Flügel und am Ende des Steißes; diese Teile, die ich hier angegeben, sind alle völlig schwarz; Schenkel und Schnabel sind gleich der anderen Art. Die Gestalt der Schlangen ist gerade so wie die der Wasserschlangen; ihre Flügel sind nicht befiedert, sondern gleichen so ziemlich denen der Fledermaus. So viel soll über die heiligen Tiere gesagt sein.



77.

Von den Ägyptern selbst sind diejenigen, welche in dem Teil Agyptens, der besäet wird[2] , wohnen, weil sie das Gedächtnis am meisten unter allen Menschen üben, bei weitem die unterrichtetsten von allen, die ich kennen gelernt habe. Sie führen folgende Lebensweise: drei Tage nacheinander in jedem Monat gebrauchen sie abführende Mittel[3] und suchen überhaupt durch Erbrechen wie durch Klystiere die Gesundheit zu erhalten, weil sie des Glaubens sind, daß von den Speisen, von denen wir uns nähren, alle Krankheiten der Menschen entstünden. Nun sind die Ägypter auch sonst, nächst den Libyern, die gesündesten unter allen Menschen[1] , des Klimas wegen, wie es mich bedünkt, weil die Jahreszeiten nicht wechseln. Denn bei dem Wechsel überhaupt, und insbesondere bei dem der Jahreszeiten [d. h. der Temperatur], entstehen meistens die Krankheiten unter den Menschen[2] . Sie essen Brot, das sie aus Dinkel bereiten[3] und Kyllestis benennen. Wein genießen sie, der aus Gerste bereitet ist denn es giebt in ihrem Lande keine Reben[5] . Von Fischen essen sie die einen roh an der Sonne getrocknet, die anderen in Salzlake eingepökelt[1] . Von Vögeln essen sie die Wachteln, Enten und das kleine Geflügel roh, nachdem sie dieselben zuvor eingepökelt haben; alles andere, was noch zu Vögeln oder Fischen gehört, verzehren sie gebraten und gekocht, mit Ausnahme alles dessen, was bei ihnen für heilig erklärt ist.



78.

Bei den Gesellschaften der Reichen unter ihnen trägt, wenn sie mit dem Mahle zu Ende sind, ein Mann in einem Sarge einen von Holz gefertigten Leichnam, welcher möglichst nachgemacht ist in Malerei wie in Arbeit[2] , in der Größe von ungefähr einer oder zwei Ellen, herum; einem jeden der Zecher zeigt er denselben mit den Worten: "Auf diesen blicke, und dann trinke und sei fröhlich; denn ein solcher wirst du sein, wenn du gestorben bist." Also thun sie bei den Gastmahlen.



79.

Sie halten die Sitten ihrer Väter und nehmen keine andere Sitte an. So haben sie denn unter anderen bemerkenswerten Gebräuchen ein Lied. Linos[3] , das auch in Phönizien, in Cypern und anderen Ländern gesungen wird, jedoch bei jedem Volke seinen besondern Namen hat, aber mit dem Liede übereinstimmt, welches die Griechen unter dem Namen des Linos singen, so daß neben so vielem anderen, das mich in Ägypten in Staunen setzte, insbesondere dies mich Wunder nahm, woher sie denn auch den Linos bekommen haben: aber offenbar singen sie denselben von jeher. Auf ägyptisch heißt der Linos Maneros: es erzählen nämlich die Ägypter, er sei der einzige Sohn des ersten Königs über Ägypten gewesen, und nach seinem frühen Tode hätten ihn die Ägypter mit diesen Klageliedern geehrt, und sei dies ihr erstes und einziges Lied gewesen.



80.

Auch darin noch stimmen die Ägypter allein mit den Lakedämoniern unter den Hellenen überein, daß die Jüngeren, wenn sie den Älteren begegnen, diesen aus dem Wege gehen und Platz machen, ebenso auch, wenn sie kommen, von ihren Sitzen aufstehen. Darin jedoch stimmen sie mit keinem anderen Volke [der Hellenen] überein, daß sie, statt einander zu begrüßen auf den Straßen, sich tief beugen und die Hand bis an das Knie herablassen[1] .



81.

Sie tragen Röcke von Leinen, welche um die Schenkel mit Fransen versehen sind und Kalasiris heißen; darüber tragen sie weiße wollene Mäntel[1] als Überwurf. Jedoch in den Tempel wird nichts von Wolle mitgenommen[2] oder auch mit ihnen begraben: denn dies gilt für eine Sünde. Sie stimmen darin überein mit den sogenannten orphischen und bacchischen Gebräuchen, die jedoch ägyptische und pythagoreische sind[3] : denn hier ist es auch nicht erlaubt, einen, der an solchem Geheimdienst Teil hat, in wollenen Gewändern zu beerdigen. Es wird aber darüber eine heilige Sage erzählt[4] .



82.

Auch folgendes noch ist etwas von den Ägyptern Erfundenes, welchem Gotte jeder Monat und jeder Tag angehört, und was jedem begegnen wird je nach dem Tage, an welchem er geboren ist[5] , wie er enden wird, und was aus ihm überhaupt werden wird. Und davon haben diejenigen Griechen, welche in der Dichtkunst sich versucht haben, Gebrauch gemacht. Auch Wunderzeichen giebt es bei ihnen mehr, die man gefunden, als bei allen anderen Menschen. Denn wenn ein Wunderzeichen sich zugetragen, so beobachten sie dasselbe und schreiben den Ausgang auf; kommt dann später ein diesem ähnliches Zeichen vor, so glauben sie, daß auch der Ausgang ein gleicher sein werde.



83.

Mit der Weissagekunst ist es bei ihnen auf folgende Weise bestellt: keinem Menschen steht diese Kunst zu, sondern nur einigen Gottheiten[1] . So haben sie denn daselbst ein Orakel des Herakles, des Apollo, der Athene, der Artemis, des Ares[2] und des Zeus; dasjenige jedoch, welches unter allen Orakeln am meisten in Ehren steht, ist das der Leto in der Stadt Buto[3] . Die Weissagung selbst[4] ist jedoch nicht auf gleiche Weise bei ihnen eingerichtet, sondern verschieden.



84.

Die Heilkunde[5] ist bei ihnen in der Art verteilt, daß jeder Arzt nur für eine Krankheit ist und nicht für mehrere. So ist bei ihnen alles voll von Ärzten: die einen sind als Ärzte für die Augen bestellt[6] , andere für den Kopf, andere für die Zähne, andere für den Unterleib, andere für die unsichtbaren[7] Krankheiten



85.

Die Klage um die Gestorbenen und deren Bestattung geschieht auf folgende Weise. Wenn einer von den Angehörigen, welcher in einigem Ansehen stand, gestorben ist, so bestreicht sich alles, was zur weiblichen Verwandtschaft gehört, den Kopf oder auch das Gesicht mit Lehm; die Leichen lassen sie in der Behausung, und dann ziehen sie durch die Stadt und schlagen sich die Brust, aufgeschürzt[1] und mit entblößter Brust; mit ihnen ziehen alle weiblichen Anverwandten; von der anderen Seite aber stehen die Männer, die, ebenfalls aufgeschürzt, sich an die Brust schlagen. Erst wenn dies geschehen ist, bringt man den Leichnam zur Einbalsamierung[2] .



86.-90

Dazu nun sind eigene Leute bestellt, welche diese Kunst betreiben. Ist eine Leiche zu ihnen gebracht, so zeigen sie denjenigen, welche ihn gebracht haben, Muster von Leichnamen aus Holz[3] , welche ganz ähnlich bemalt sind..., und dann geben sie ihnen als die vornehmste Art der Balsamierung die des Gottes an, dessen Namen ich bei einer solchen Sache zu nennen für eine Sünde erachte[1] ; darauf zeigen sie ihnen eine zweite, die geringer ist als diese und wohlfeiler, darauf die dritte, die wohlfeilste; und nachdem sie ihnen dies erklärt haben, fragen sie sie, auf welche Art sie den Leichnam behandelt haben wollen. Die Angehörigen des Toten entfernen sich nun dann, nachdem sie über die Kosten sich verständigt haben; die anderen, die in dem Hause bleiben, nehmen die Einbalsamierung, wenn es die vornehmste Art ist, in folgender Weise vor. Zuerst ziehen sie mit einem krummen Eisen das Gehirn durch die Nasenlöcher heraus, und zwar den einen Teil auf diese Weise, den anderen durch eingegossene Arzneimittel; nachher machen sie mit einem scharfen äthiopischen Steine[2] einen Einschnitt in der Weiche und nehmen das ganze Eingeweide heraus. Und wenn sie dann den Unterleib gereinigt und mit Palmenwein[3] ausgespült haben, thun sie das Gleiche mit zerstoßenem Räucherwerk; alsdann füllen sie den Bauch mit zerstoßener reiner Myrrhe, Kassia und anderem Räucherwerk. den Weihrauch ausgenommen, und nähen ihn dann wieder zu; ist dies geschehen, so legen sie ihn siebzig Tage[4] lang in Natrum[5] ; länger als diese Zeit darf es nicht dauern. Sind aber die siebzig Tage verflossen, so waschen sie die Leiche, umwickeln dann den ganzen Leib mit Binden von Byssus-Leinwand[6] , welche dazu geschnitten sind, und überstreichen ihn mit Gummi, den nämlich die Ägypter statt Leim viel gebrauchen. Nun erhalten die Anverwandten den Leichnam und lassen eine hölzerne Form in Menschengestalt anfertigen, in welchen sie ihn hineinlegen; haben sie ihn eingeschlossen, so heben sie ihn also in einer Grabkammer auf, und zwar aufrecht stehend an der Wand.


***
87.

Dies also ist die kostbarste Art der Leichenbereitung; bei denjenigen aber, welche die mittlere Art wählen, weil sie die großen Kosten scheuen, machen sie es auf folgende Weise. Wenn sie ihre Klystierspritzen mit Öl das von der Ceder kommt, gefüllt haben, so füllen sie damit nun den Bauch des Leichnams an, ohne irgend einen Einschnitt in denselben zu machen oder den Magen herauszunehmen, sondern sie spritzen es durch den After hinein und verhindern die Einspritzung wieder zurückzugehen, worauf sie die Einbalsamierung in der bestimmten Zahl von Tagen vornehmen; am letzten Tage lassen sie dann das Öl, das sie vorher in den Bauch gebracht hatten, wieder heraus. Es hat aber dieses Öl eine solche Krast, daß es zugleich mit sich den Magen und die Eingeweide in völliger Auflösung herausbringt; das Natrum löst alles Fleisch auf[1] , und es bleibt von dem Leichnam dann nur Haut und Knochen übrig. Haben sie dies gethan, so geben sie den Leichnam wieder zurück, ohne sich weiter darum zu kümmern.



***
88.

Die dritte Art der Einbalsamierung, welche bei den Unbemittelteren angewendet wird, ist folgende: man spült den Bauch mit einer reinigenden Flüssigkeit[2] aus, läßt ihn dann die siebzig Tage im Salz liegen und giebt ihn darauf wieder zurück zum Wegbringen.



***
89.

Die Weiber von angesehenen Männern giebt man, wenn sie gestorben sind, nicht sogleich zur Einbalsamierung, ebenso auch nicht diejenigen Frauen, welche sehr schön sind und von mehr Ansehen; erst nach Verlauf von zwei oder drei Tagen übergiebt man sie den Einbalsamierem; es geschieht dies deshalb, damit die Einbalsamierer mit den Frauen keinen Umgang pflegen. Man erzählt nämlich, daß einer derselben ertappt worden sei, wie er mit dem frischen Leichnam einer Frau Unzucht trieb, aber von seinem Kameraden verraten ward.



***
90.

Findet man einen Ägypter oder in gleicher Weise einen Fremden, welcher entweder von einem Krokodil geraubt worden oder durch den Fluß selbst umgekommen ist, so müssen jedenfalls diejenigen, bei deren Stadt der Leichnam ans Land geworfen worden ist, für seine Einbalsamierung sorgen, ihn aufs schönste herrichten und in den heiligen Grabkammern beisetzen; auch darf ihn kein anderer, weder einer von seinen Anverwandten noch Freunden berührt, sondern die Priester des Nilus[1] selbst besorgen und bestatten ihn, wie wenn er etwas mehr als eines Menschen Leichnam wäre.




91.

Sie meiden es, hellenische Gebräuche anzunehmen, wie überhaupt, um es hier im ganzen zu bemerken, die Gebräuche irgend eines anderen Volkes irgendwie. Also beobachten es die übrigen Ägypter; (ausgenommen davon) ist aber Ehemmis[2] , eine große Stadt in der thebanischen Mark, nahe bei Reapolis. In dieser Stadt befindet sich ein Heiligtum des Perseus des Sohnes der Danae, welches die Gestalt eines Viereckes hat; ringsherum sind Palmbäume gepflanzt. Die Vorhalle des Heiligtumes ist von Stein und sehr groß; bei derselben stehen zwei große Mannesgestalten von Stein. Innerhalb dieses Umkreises nun steht das Tempelhaus und darin ist das Bild des Perseus aufgestellt. Dieser Perseus, so erzählen die Chemmiten, erscheint oftmals in ihrem Lande, oftmals auch innerhalb des Tempels; sogar der Schuh[1] , den er getragen, finde sich vor, in der Größe von zwei Ellen; wenn dieser erscheine, so wäre Überfluß in ganz Ägypten. Solches erzählen sie; aber dem Perseus veranstalten sie folgendes nach hellenischer Sitte: sie halten Kampfspiele ab in jeglicher Art des Kampfes und geben als Kampfpreise Vieh, Mäntel und Häute[2] . Als ich nun mich erkundigte, warum Perseus bei ihnen allein zu erscheinen pflege und warum sie darin von den übrigen Ägyptern sich unterschieden, daß sie ein solches Kampfspiel veranstalteten, so versicherten sie, daß Perseus aus ihrer Stadt stamme; denn Danaos[3] und Ly'nkeus[4] , die nach Griechenland abgefahren, wären Chemmiten gewesen; von diesen führten sie dann weiter das Geschlecht herab bis auf Perseus, der aus derselben Ursache, die auch die Hellenen angeben, nach Ägypten gekommen sei, um das Haupt der Gorgo aus Libyen zu holen[5] , und bei dieser Gelegenheit auch sie besucht und alle seine Verwandten erkannt habe. Er habe nämlich. als er nach Ägypten gekommen. den Namen der Stadt Chemmis gewußt, da er ihn von seiner Mutter erfahren; auf sein Geheiß aber feierten sie ihm zu Ehren ein solches Kampfspiel.



92.

Alle diese Gebräuche haben diejenigen Ägypter, welche oberhalb der Sümpfe[6] wohnen; diejenigen aber, welche in den Sümpfen wohnen, haben zwar dieselben Gebräuche, wie die übrigen Ägypter, unter anderen auch darin, daß jeder von ihnen nur mit einem Weibe zusammenlebt, gleichwie die Hellenen[1] ; aber in bezug auf die Leichtigkeit des Lebensunterhaltes haben sie noch folgendes weiter erfunden. Wenn der Fluß angeschwollen ist und die Ebene zu einem See gemacht hat, so wachsen in dem Wasser viele Lilien, welche die Ägypter Lotus nennen. Diese pflücken sie und trocknen sie an der Sonne, hernach zerstoßen sie die aus der Mitte des Lotus hervorragende, dem Mohn ähnliche Frucht und bereiten daraus ein Brot, das am Feuer gebacken wird; auch die Wurzel dieses Lotus ist genießbar und schmeckt angenehm süss, sie ist rund und so groß wie ein Apfel[2] . Es giebt aber auch noch andere Lilien[3] , welche den Rosen ähnlich sind und ebenfalls in dem Flusse wachsen; ihre Frucht findet sich in einem anderen, aus der Wurzel daneben aufschießenden Stengel und ist an Gestalt ganz ähnlich einer Wespenwabe; dann finden sich viele eßbare Kerne, ungefähr von der Größe eines Olivenkerns, den man frisch wie getrocknet verzehrt. Den Byblus[4] aber, der in jedem Jahre wächst, ziehen sie aus den Sümpfen heraus, schneiden dann die oberen Teile ab und verwenden sie zu irgend etwas anderem; dagegen das, was unten übrig geblieben ist, ungefähr eine Elle lang, genießen sie [und verkaufen es]; diejenigen aber, die ihn recht schmackhaft haben wollen, rösten ihn zuvor in einem glühenden Ofen und dann essen sie ihn. Einige von ihnen leben auch bloß von Fischen[5] , welche sie fangen; sie nehmen ihnen die Eingeweide heraus, trocknen sie an der Sonne und essen sie dann auf diese Weise gedörrt.



93.

Die Zugfische finden sich nicht sowohl in den Flußgewässern, sondern leben in den Seen und thun folgendes. Wenn der Trieb der Begattung in sie kommt, so eilen sie scharenweise in das Meer; die Männchen schwimmen voran und lassen von dem Samen etwas gehen, die Weibchen, die hinter ihnen kommen, schnappen es auf und werden davon befruchtet. Wenn sie nun im Meere befruchtet worden sind, so schwimmen sie wieder zurück, ein jeder an seinen gewohnten Ort; es schwimmen jedoch nicht mehr dieselben voran, sondern die Weibchen haben den Vorzug und schwimmen scharenweise voraus, indem sie es geradeso machen, wie es die Männchen machten: sie lassen nämlich Eier fahren, jedesmal nur wenige Körner; die Männchen, welche ihnen folgen, verschlucken dann dieselben. Diese Körner aber sind Fische, und aus den Körnern, welche übrig bleiben und nicht verschluckt werden, werden, wenn sie wachsen, Fische. Alle diejenigen aber, welche auf dem Zuge in das Meer gefangen werden, sehen an der linken Seite des Kopfes abgerieben aus; die bei dem Rückweg gefangenen sind an der rechten Seite des Kopfes abgerieben. Es kommt dies daher; daß sie bei dem Zuge ins Meer sich links am Lande halten, und ebenso halten sie sich bei dem Rückweg an derselben Seite, drängen sich daran und berühren sie möglichst, um nicht, der Strömung wegen, den Weg zu verfehlen. Wenn nun der Nil zu wachsen beginnt, so fangen zuerst die Tiefen des Landes und die Lachen längs des Flusses sich zu füllen an, indem das Wasser aus dem Flusse durchdringt; und sowie diese angefüllt sind, füllt sich auch alles mit kleinen Fischen an. Woher aber diese wahrscheinlicher Weise kommen, glaube ich zu erkennen. Wenn nämlich im Jahre zuvor der Nil zurückgetreten ist, so legen die Fische ihre Eier in den Schlamm und gehen erst mit dem letzten Wasser ab: wenn aber die Zeit vorbei ist und das Wasser wieder herantritt, so werden aus diesen Eiern alsbald Fische. Also verhält sich mit den Fischen.



94.

Als Öl gebrauchen die in den Sümpfen[1] wohnenden Ägypter eins aus der Frucht der Sillikyprien, was ägyptisch Kiki[2] heißt. Sie bereiten es auf folgende Weise. Am Rande der Flüsse und Seen[1] sät man diese Sillikyprien, welche in Hellas wild wachsen; in Ägypten dagegen werden sie gesät und tragen reichliche Frucht, die jedoch einen üblen Geruch hat. Diese Frucht sammelt man ein, zerschlägt sie dann und preßt sie aus, oder man röstet sie auch und kocht sie; was davon abfließt, sammelt man und hebt es auf. Es ist dasselbe fett und nicht weniger brauchbar für die Lampen als Öl, hat aber einen widerwärtigen Geruch.



95.

Wider die Mücken[2] , die ungemein zahlreich sind, haben sie folgendes Mittel ersonnen. Diejenigen, welche oberhalb der Sümpfe wohnen[3] , benutzen ihre Türme 4 , auf welche sie hinaufsteigen zum Schlafen, weil die Mücken vermöge der Winde nicht im stande sind, in die Höhe zu fliegen; die aber, welche in den Sümpfen wohnen, wenden statt der Türme noch folgendes andere Mittel an. Ein jeder von ihnen besitzt ein Netz, mit welchem er des Tages Fische fängt, während der Nacht aber bedient er sich desselben, indem er um das Lager, auf dem er ruht, dasselbe ausstellt, dann hineintritt und unter dem Netze schläft; die Mücken nämlich, wenn er in einen Mantel oder in Leinwand eingehüllt schläft, stechen hindurch, während sie es durch das Netz gar nicht versuchen.



96.

Die Fahrzeuge, mit welchen sie Lasten fahren, werden von ihnen aus Akanthus[5] gemacht, dessen Gestalt dem kyrenäischen Lotus[1] ganz ähnlich ist, und daraus schwitzt ein Gummi. Aus diesem Akanthus schneiden sie Bretter in der Größe von etwa zwei Ellen, setzen sie dann wie Ziegel zusammen und bauen das Schiff auf folgende Weise. Sie befestigen die zwei Ellen langen Bretter an zahlreiche und sehr lange Pflöcke, und wenn sie auf diese Weise das Schiff gebaut, so legen sie Querbalken darüber; Rippen gebrauchen sie gar nicht. Die Fugen verstopfen sie inwendig mit Byblus[2] . Sie verfertigen nur ein einziges Steuer, welches durch den Kiel hindurchgeht; zu dem Mast nehmen sie Akanthus, zu den Segeln Byblus. Diese Fahrzeuge können stromaufwärts nicht fahren, wenn kein starker Wind geht, sondern werden vom Lande aus gezogen; stromabwärts aber fährt man also: man nimmt ein aus Tamariskenholz gefertigtes Thürbrett, welches durch ein Geflecht von Rohr zusammengehalten ist, und einen Stein, durch welchen ein Loch gebohrt ist; derselbe hat ein Gewicht von etwa zwei Talenten. Dieses an ein Tau gebundene Brett läßt man vorn an dem Fahrzeug herab ins Wasser, den Stein aber mittels eines anderen Taues hinten. Das Brett nun, wenn es in die Strömung gefallen ist, geht schnell und zieht die Baris — so nennt man nämlich die Fahrzeuge — nach, der Stein aber, der von hinten nachgezogen wird und in der Tiefe geht, lenkt die Fahrt. Solche Fahrzeuge[3] giebt es bei ihnen gar viele, und manche derselben tragen viele Tausende von Talenten.



97.-98

Wenn der Nil über das Land tritt, so sieht man nur die Städte [aus dem Wasser] hervorragen, so ziemlich ähnlich den Inseln in dem Ägäischen Meere[4] , denn alles andere von Ägypten wird zu einem Meere, aus welchem bloß die Städte hervorragen. Da fährt man nun, wenn dies eintritt, mit den Kähnen nicht mehr in dem Bette des Flusses, sondern mitten durch die Ebene. Fährt man aufwärts von Naukratis[1] nach Memphis, so kommt man auf der Fahrt hart an den Pyramiden[2] vorbei ; es ist dies jedoch nicht der gewöhnliche Weg, sondern dieser geht an der Spitze des Delta und an der Stadt[3] Kerkasorus vorbei; fährt man nach Naukratis vom Meere und von Kanobus aus durch die Ebene, so kommt man bei der Stadt Anthylla und der Stadt des Archander, wie sie heißt, vorbei[5] .


***
98.

Von diesen beiden Orten ist Anthylla, welches eine bedeutende Stadt ist, der Frau des jedesmaligen Königs von Ägypten zu ihrem Schuhwerk angewiesen[6] ; und geschieht dies, seitdem Ägypten unter den Persern steht. Die andere Stadt hat, wie mir scheint, ihren Namen von dem Schwiegersohn des Danaos, dem Archander, einem Sohne des Phthios und Enkel des Achäos; denn sie heißt Archanders Stadt. Es kann aber auch ein anderer Archander sein, ägyptisch wenigstens ist der Name in keinem Fall.




99.

Was ich bis hierher erzählt, beruht auf eigener Anschauung, Ansicht und Erkundigung, von nun an aber komme ich auf die ägyptischen Geschichten zu reden nach dem, was ich darüber vernahm; es wird aber auch einiges aus meiner eigenen Anschauung dazukommen.[1]

Von Menes[2] , dem ersten Herrscher Ägyptens, erzählen die Priester, er habe die Stadt Memphis durch Dämme geschützt. Es wäre nämlich der ganze Strom längs des Sandgebirges nach Libyen zu geflossen, Menes aber habe oberhalb, ungefähr hundert Stadien[3] von Memphis entfernt, den nach Mittag zugewendeten Arm des Nils abgedämmt und nach der Trockenlegung des alten Flußbettes den Fluß dahin geleitet, daß er nun in der Mitte zwischen den Bergen fließe. Auch jetzt noch wird von den Persern dieser Arm des Nils 4 , welcher von dem alten getrennt fließt, sorgfältig bewacht und jedes Jahr am Wehre gearbeitet. Denn wenn der Fluß hier durchbrechen und seine Ufer überschreiten wollte, ist ganz Memphis in Gefahr überschwemmt zu werden. Nachdem nun dieser Menes, der erste Herrscher des Landes, das abgegrabene Flußbett in festes Land verwandelt hatte, so soll er dann die Stadt, welche jetzt Memphis[5] heißt, gegründet haben; es liegt nämlich Memphis noch in dem engen Teile Ägyptens; von außen aber habe er rings um dieselbe einen See aus dem Flusse abgegraben in der Richtung nach Norden und Westen: denn nach Osten macht der Nil selbst die Grenze; dann aber habe er noch in derselben den Tempel des Hephästos[1] gegründet, welcher groß und aller Beachtung würdig ist.



100.

Nach diesem lasen mir die Priester[2] aus einem Buche noch die Namen von dreihundertunddreißig anderen Königen der Reihe nach vor; es waren unter so vielen Generationen achtzehn Äthiopier und eine Frau aus dem Lande selbst; die übrigen Männer waren Ägypter; die Frau, welche über Ägypten geherrscht, hatte denselben Namen Nitokris, wie die babylonische Königin[1] . Diese, erzählten sie, rächte ihren Bruder, den König von Ägypten, den die Ägypter umgebracht, und nach dessen Tode sie ihr das Königreich übergeben hatten; sie rächte ihn aber dadurch, daß sie viele Ägypter durch List tötete. Sie ließ nämlich ein sehr langes Gemach unter der Erde bauen und gab vor, dasselbe einzuweihen, während sie etwas ganz anderes dabei im Sinne hatte; sie ließ dann diejenigen Ägypter, die sie als die Haupturheber der Ermordung [ihres Bruders] kannte, einladen und bewirtete sie in großer Zahl; während sie aber beim Mahle saßen, ward durch einen großen verborgenen Kanal der Fluß hineingelassen. So viel erzählten sie von dieser Königin, und dazu noch weiter, sie habe, nachdem sie diese That vollbracht, sich in ein mit Asche angefülltes Gemach gestürzt[2] , um der Rache [der Ägypter] zu entgehen.



101.

Die übrigen Könige, von welchen sie kein nennenswertes Werk anzugeben wußten, sollen in keiner Weise sich ausgezeichnet haben, mit einziger Ausnahme des letzten derselben, des Möris[3] . Dieser habe mehrere Denkmale aufzuweisen: die gegen Norden gerichtete Vorhalle des Tempels des Hephästos[4] , dann einen See, den er graben ließ in einem Umfang von so viel Stadien, wie ich später[1] angeben werde, und in demselben habe er Pyramiden gebaut, über deren Größe ich zugleich mit dem See selbst noch berichten werde. Dieser König habe diese großen Werke aufzuweisen, von den übrigen Königen aber keiner irgend ein Werk.



102.-110

Ich will daher diese übergehen und lieber des auf diese folgenden Königs gedenken, welcher den Namen Sesostris[2] hatte. Von ihm erzählten die Priester, er sei zuerst auf langen Schiffen[3] von dem Arabischen Meerbusen ausgezogen und habe die längs dem Roten Meere wohnenden Völker unterjocht, bis er auf seiner weiteren Fahrt in ein vor Untiefen nicht mehr zu befahrendes Meer gelangte. Und als er da von da nach Ägypten zurückgekehrt war, begann er, wie die Priester angeben, mit einem großen Heere einen Zug durch das Festland und unterwarf sich alle Völker, die ihm in den Weg kamen. Wo er nun auf ein tapferes Volk stieß, das um seine Freiheit sich herzhaft wehrte, da errichtete er Säulen im Lande, welche in Schrift seinen eigenen Namen angaben, sowie den seines Vaterlandes, und wie er mit seiner Heeresmacht die Völker unterworfen; wo er aber ohne Kampf und leicht die Städte einnahm, bei diesen ließ er zwar auf die Säulen dieselbe Inschrift setzen, wie bei den Völkern, welche tapfer gewesen waren, nur fügte er noch die Schamglieder eines Weibes hinzu, indem er damit kund thun wollte, daß sie feige gewesen wären.


***
103.

Also that er, indem er das Festland durchzog, bis er zuletzt aus Asien nach Europa übersetzte und die Skythen[1] und Thrakier sich unterwarf; es ist dies aber, wie ich glaube, der entfernteste Punkt, bis zu welchem das ägyptische Heer kam: denn in dem Lande dieser Völker sieht man noch die aufgerichteten Säulen, von da an weiter aber nicht mehr. Hier nun wendete er um und kehrte zurück. Als er nun am Phasisfluß angekommen war, da kann ich es von nun an nicht mit Bestimmtheit angeben, ob es der König Sesostris selbst war, der eine kleine Abteilung seines Heeres absonderte und hier im Lande als Kolonisten zurückließ, oder ob einige seiner Soldaten, die des Herumziehens müde waren, am Phasisstrom zurückblieben.




104.-105

Die Kolcher nämlich sind offenbar ägyptischer Abkunft; ich behaupte dies, weil ich es selbst eher bemerkt, als ich es von anderen gehört habe[2] . Weil mir aber an der Sache gelegen war, so befrug ich beide; und es erinnerten sich die Kolcher mehr an die Ägypter, als diese an die Kolcher; indes versicherten die Ägypter, sie glaubten. die Kolcher wären von dem Heere des Sesostris; ich selbst habe es daraus geschlossen, daß sie schwarze Farbe und krauses Haar haben, obwohl dieser Grund auf nichts hinausläuft, weil es auch andere Menschen derart giebt; aber daraus habe ich es noch mehr entnommen, daß Kolcher, Ägypter und Äthiopier die einzigen unter allen Menschen sind, welche von sich die Schamglieder beschneiden[1] , die Phönicier aber und die in Palästina wohnenden Syrer[2] selbst eingestehen, von den Ägypten die Beschneidung gelernt zu haben; die Syrer dagegen[3][4] , die am Thermodon und Partheniusfluß wohnen, sowie die denselben benachbarten Makronen[5] behaupten, erst neuerdings dieselbe von den Kolchern gelernt zu haben; denn dies sind unter allen Menschen die einzigen, welche sich beschneiden, und sie thun es offenbar den Ägyptern nach; hinsichtlich der Ägypter und Äthiopier selbst vermag ich nicht anzugeben, welche von ihnen es von den anderen gelernt haben: denn offenbar ist die Sitte ganz alt; daß sie aber im Verkehr mit Ägypten dieselbe gelernt, dafür habe ich noch folgenden Hauptbeweis. Alle die Phönicier, welche mit Hellas verkehren, ahmen in bezug auf die Schamglieder die Ägypter nicht mehr nach, sondern beschneiden die Schamglieder der nachgeborenen Kinder nicht.


***
105.

Ich will nun aber auch noch etwas anderes hinsichtlich der Kolcher angeben, worin sie den Ägyptern ähnlich sind. Sie allein und die Ägypter machen die Leinwand auf dieselbe Weise, und ist ihre ganze Lebensweise und Sprache einander ähnlich; die kolchische Leinwand ist zwar von den Hellenen sardonische[6] genannt; die aus Ägypten kommende heißt jedoch die ägyptische.




106.

Von den Säulen, welche der ägyptische König Sesostris in diesen Ländern ausstellte, sind offenbar die meisten nicht mehr vorhanden: in dem syrischen Palästina[1] sah ich jedoch selbst noch solche und darauf die oben angegebene Schrift, sowie die Schamglieder eines Weibes. Es befinden sich aber auch in Jonien zwei Bilder dieses Mannes in Felsen eingehauen, da, wo man aus dem ephesischen Gebiete nach Phokäa, und da, wo man von Sardes nach Smyrna geht[2] . An beiden Orten ist [in Felsen] ein Mann eingehauen in der Größe von fünf Spannen[3] ; er hält in der rechten Hand einen Speer, in der linken einen Bogen, und gleicher Art ist das übrige Rüstzeug, nämlich ägyptisch und äthiopisch: von der einen Schulter zur andern läuft über die Brust eingegraben eine Inschrift in heiligen ägyptischen Buchstaben, welche besagt: "Ich habe dieses Land mit meinen Schultern[1] erworben." Wer er nun ist und woher er ist, giebt er nicht an, aber an einer anderen Stelle hat er es angegeben. Wenn nun einige von denen, welche dis gesehen, vermuten, es sei ein Bild des Memnon[2] , so sind sie doch in einem großen Irrtum befangen.


***
107.

Dieser Ägypter Sesostris führte, wie die Priester erzählten, auf dem Heimwege viele Menschen von den Völkern mit, deren Länder er unterworfen hatte; und als er auf dem Rückzuge bei dem pelusischen Daphnä[3] angekommen war, lud ihn samt seinen Söhnen sein Bruder[4] , dem er Ägypten übergeben hatte, zu Gast ein und häufte um das Haus herum von außen her Brennholz an, das er hernach anzünden ließ. Sowie Sesostris dessen gewahr wurde, hielt er sogleich Rat mit seiner Frau, denn auch diese hatte er auf seinen Zügen mitgenommen; diese gab ihm nun den Rat, von seinen Söhnen, deren es sechs waren, zwei über den Holzstoß zu legen und so eine Brücke über das brennende Holz zu machen; sie wollten dann über dieselben wegschreiten und sich retten. Sesostis soll dies gethan haben; zwei seiner Söhne sollen auf diese Weise umgekommen, die übrigen aber zugleich mit dem Vater gerettet worden sein.



***
108.

Als Sesostris nach Ägypten zurückgekehrt war und Rache an seinem Bruder genommen hatte, gebrauchte er die Haufen, die er mit sich geführt aus den von ihm unterworfenen Ländern, zu folgendem: die gewaltig großen Steine, welche unter diesem König in den Tempel des Hephästos[5] gebracht wurden, mußten diese herbeischleppen, und ebenso wurden sie genötigt, alle die Kanäle, die jetzt in Ägypten vorhanden sind, zu graben, wodurch sie wider ihren Willen Ägypten, in welchem man vorher reiten und fahren konnte, dessen verlustig machten. Denn von dieser Zeit an läßt sich in Ägypten, welches ganz eben ist, weder reiten noch fahren, woran die Kanäle schuld sind, deren es viele giebt und nach allen möglichen Richtungen. Es durchschnitt aber der König (durch diese Kanäle) deshalb das Land, weil alle die Ägypter, deren Städte nicht an dem Fluß liegen, sondern mitten im Lande, Mangel litten an Wasser, so oft der Fluß zurücktrat, und ein ziemlich salziges Trinkwasser hatten, das sie aus Brunnen schöpften; darum also wurde Ägypten (mit so vielen Kanälen) durchschnitten[1] .



***
109.

Dieser König, so erzählten sie weiter, habe das Land unter alle Ägypter in der Art verteilt, daß er einem jeden ein viereckiges gleiches Stück Land gab, und daraus seine Einkünfte bezogen, indem er eine jährliche Steuer darauf legte. Hatte aber der Fluß etwas von diesem Stück Land weggenommen, so mußte der Besitzer zu ihm kommen und von dem Vorfall Anzeige machen. Dann schickte er Leute, die es untersuchen und ausmessen mußten, um wie viel kleiner das Land geworden war, damit jener fernerhin nach Verhältnis von dem ihm auferlegten Tribut die Steuer entrichte[2] . Daher ist, wie ich glaube, die Feldmeßkunst[3] erfunden und von da nach Hellas gebracht worden. Denn die Sonnenuhr und den Zeiger, sowie die zwölf Teile des Tages haben die Hellenen von den Babyloniern gelernt.



***
110.

Dieser ägyptische König war auch der einzige, der über Äthiopien geherrscht hat; von Denkmälern hinterließ er mehrere steinerne Bilder vor dem Tempel des Hephästos 1 , zwei von dreißig Ellen, die ihn und sein Weib darstellen, vier andere von seinen Söhnen, deren jedes zwanzig Ellen hatte. Lange Zeit hernach wollte der Perserkönig Darius vor denselben sein Bild aufstellen, aber der Priester des Hephästos ließ es nicht zu, indem er erklärte, Darius habe keine solchen Thaten verrichtet, wie der Ägypter Sesostris: denn Sesostris habe nicht nur nicht weniger andere Völker sich unterworfen als jener, sondern auch die Scythen[2] , welche Darius nicht habe bewältigen können; ungerecht aber sei es, vor die Weihgeschenke jenes Mannes sein eigenes aufzustellen, wenn man ihn durch Thaten nicht übertroffen. Darauf hin, erzählten sie, habe Darius nachgegeben.




111.

Nach dem Tode des Sesostris, so erzählten sie weiter, kam das Königreich an seinen Sohn Pheron[3] ; dieser führte jedoch keinen Kriegszug aus, denn es war ihm begegnet, daß er blind wurde aus folgender Ursache. Der Fluß war auf das höchste gestiegen, bis zu achtzehn Ellen, und überschwemmte die Felder, als plötzlich ein Sturm einfiel und der Fluß Wellen schlug. Da ergriff der König, so erzählten sie, in frevelndem Übermut einen Speer und warf ihn mitten in den Wirbel des Flusses; darauf bekam er alsbald eine Augenkrankheit und ward blind. Zehn Jahre nun war er blind, im elften Jahre aber kam ihm ein Orakel aus der Stadt Buto[1] : es sei die Zeit seiner Strafe abgelaufen und er werde wieder sehen, wenn er seine Augen mit dem Urin eines Weibes wüsche, die nur mit ihrem eigenen Manne Umgang gepflogen und von keinem anderen berührt worden sei. Da versuchte er es zuerst mit seiner eigenen Frau, und hernach, da er nicht wieder sehend geworden war, mit allen Weibern der Reihe nach. Als er nun sein Gesicht wieder erlangt hatte, ließ er die Weiber, mit denen er es versucht hatte, mit Ausnahme derjenigen Frau, mit deren Urin er sich gewaschen und wieder sehend geworden war, zusammenbringen in eine Stadt, welche jetz Grythre Bolos[2] heißt: in diese Stadt brachte er alle die Weiber zusammen und verbrannte sie mitsamt der Stadt; diejenige aber, mit deren Harn er sich gewaschen und wieder sehend geworden war, behielt er bei sich als Weib. Nachdem er nun diesem Augenleiden entronnen war, weihete er in alle angesehenen Tempel allerlei Gegenstände, insbesondere aber weihete er, was am meisten Erwähnung verdient, in den Tempel des Helios Sonnen sehenswerte Werke; zwei steinerne Spitzsäulen, eine jede aus einem Steine[3,] in der Länge von hundert und in der Breite von acht Ellen.



112.

Nach diesem kam das Königreich, wie sie erzählten, an einen Mann aus Memphis, der nach der Sprache der Hellenen Proteus heißt[4] , dessen Heiligtum zu Memphis sich jetzt befindet und sehr schön und wohleingerichtet ist, nach Mittag zu von dem Tempel des Hephästos gelegen. Um dieses Heiligtum herum wohnen tyrische Phönicier, der ganze Ort aber wird genannt der Tyrier Lager[1] ; in dem Heiligtum des Proteus befindet sich ein Tempel, welcher der Tempel der fremden Aphrodite genannt wird; ich vermute aber, es ist der Tempel der Helena, der Tochter des Tyndareus, weil ich nämlich erzählen gehört, es habe Helena bei Proteus sich aufgehalten[2] , und dann auch, weil sie den Beinamen der fremden Aphrodite hat; denn alle anderen Tempel der Aphrodite haben keineswegs den Beinamen der Fremden.



113.-120

Als ich nun weiter fragte, erzählten mir die Priester, mit der Helena sei es also gegangen. Als Alexandros die Helena geraubt, habe er mit ihr von Sparta aus in seine Heimat fahren wollen; als er aber auf dem Ägyptischen Meere sich befand, so verschlugen ihn widrige Winde in das ägyptische Meer[1] , und aus diesem kam er, da der Sturm nicht nachließ, nach Ägypten, und zwar in die Mündung des Nils, welche jetzt die Kanobische[2] heißt, und zu den Taricheen[3] . An dem Gestade war ein Tempel des Herkules, der auch jetzt noch dort steht; flüchtet sich in denselben ein Sklave irgend eines Herrn und läßt sich, indem er sich dem Gotte übergiebt, mit den heiligen Zeichen[4] versehen, so darf ihn niemand antasten; und bestehet diese Sitte auf gleiche Weise von Anfang an bis auf meine Zeit. Einige nun von den Dienern[5] des Alexandros, welche von dem bei diesem Tempel bestehenden Brauche gehört hatten, verliefen sich dahin; sie setzten sich als Schützlinge des Gottes nieder und verklagten Alexandros, um ihm zu schaden, indem sie die ganze Geschichte erzählten, wie es sich mit der Helena und dem dem Menelaos zugefügten Unrecht verhalte, und dies thaten sie vor den Priestern und vor dem Wächter dieser Nilmündung, dessen Name Thonis[6] war.


***
114.

Wie dies Thonis vernommen, entsendete er aufs schnellste eine Botschaft gen Memphis zu Proteus und ließ ihm folgendes sagen: "Ein Fremdling ist angekommen, von Geschlecht ein Teukrer, welcher eine gottlose That in Hellas verübt hat. Denn er hat das Weib seines eigenen Gastfreundes verführt und ist nun mit ihr selbst sowie mit vielen Schätzen gekommen, durch Winde verschlagen in dieses Land. Wollen wir ihn nun unverletzt von dannen ziehen lassen, oder sollen wir ihm die Schätze, die er mitgebracht hat, abnehmen?" Darauf ließ ihm Proteus folgendes zurücksagen: "Ergreift den Mann, der an seinem Gastfreunde sich versündigt hat, wer er auch ist, und führt ihn zu mir, damit ich erfahre, was er dann sagen wird!"



***
115.

Als Thonis dies vernommen, ließ er den Alexandros ergreifen und seine Schiffe zurückhalten, und nachher brachte er ihn selbst, sowie die Helena und die Schätze und überdem auch die Schützlinge nach Memphis. Als alles dorthin gebracht war, richtete Proteus an Alexandros die Frage, wer er sei und woher er gefahren komme. Dieser gab ihm darauf sein Geschlecht an, nannte ihm den Namen seiner Heimat und erzählte ihm dann auch die Fahrt, woher er komme. Und als Proteus hernach noch weiter frug, woher er die Helena genommen, da verwirrte sich Alexandros in seiner Antwort, und da er die Wahrheit nicht bekannte, so überführten ihn dessen jene Schützlinge und erzählten die ganze Geschichte seiner ungerechten Handlung. Zuletzt nun gab ihnen Proteus seinen Bescheid[1] mit folgenden Worten: "Würde ich es nicht so hoch anschlagen, keinen Fremdling zu töten, soviele deren von den Winden verschlagen in mein Land schon gekommen sind, so würde ich für den hellenischen Gastfreund Rache an dir genommen haben, indem du, o schlechtester aller Männer, die Gastfreundschaft, die dir zu teil geworden, mit der frevelhaftesten That vergolten hast: du bist gegangen zu dem Weibe deines Gastfreundes; und auch dies war dir nicht genug, sondern du hast sie so weit gebracht, daß du sie entführen und davoneilen konntest. Ja, auch dies war dir nicht genug, sondern du hast auch das Haus des Gastfreundes beraubt und dessen Schätze mitgenommen. Nun, weil ich es so hoch anschlage, keinen Fremdling zu töten, kann ich doch nicht dieses Weib und die Schätze mit dir ziehen lassen, sondern ich will sie aufbewahren für den hellenischen Gastfreund, bis er selbst kommt und sie mit sich nehmen will; dir selbst aber und deinen Gefährten gebe ich den Befehl, innerhalb drei Tagen aus meinem Lande in irgend ein anderes abzufahren; wo nicht, so werde ich euch als Feinde behandeln."



***
116.

Auf diese Weise wäre also nach der Erzählung der Priester die Helena zu Proteus gekommen; auch Homer[1] scheint mir diese Erzählung gekannt zu haben; weil sie aber nicht so gut zu seiner Dichtung paßte, wie die andere, die er genommen hat, so ließ er diese Erzählung fallen, gab aber doch zu erkennen, daß er von derselben Kenntnis habe. Es geht dies hervor aus dem, was er in der I'lias (und er kommt an keiner anderen Stelle darauf zurück) von der Irrfahrt des Alexandros gedichtet hat, wie er auf seiner Fahrt mit der Helena verschlagen ward und wie er, an anderen Orten umherirrend, auch nach Sidon in Phönicien gelangte. Er gedenkt aber dessen in dem Liede von den Heldenthaten des Diomedes; die Worte lauten also[2] ;

"Wo sie die schönen Gewande verwahrt, kunstreiche Gebilde
Jener sidonischen Fraun, die Paris, der göttliche Held, einst
Selbst aus Sidon entführt, unendliche Meere durchschiffend,
Als er nach Ilios fuhr mit Helena, Tochter Kronions[3] ."

Auch in der Odyssee[4] gedenkt er dessen mit folgenden Worten:

"Solcherlei Würzen besaß, sinnreich und von heilsamer Wirkung,
Helena; diese verehrte die Gattin Thons, Polydamna,
Ihr in Ägypten einst, wo die fruchtbare Erde der Würzen
Fülle gemischt aufnährt, viel heilsame, viele zum Unheil.
Und ebenso wieder spricht Menelaos zu Telemachos folgendes[1] :
"Noch in Agyptos hielten, so sehr ich nach Hause mich sehnte,
Götter mich auf; ich versäumte, vollkommene Opfer zu bringen."

In diesen Worten giebt er zu erkennen, daß er von Alexandros' Irrfahrt nach Ägypten Kenntnis hatte; denn Syrien[2] grenzt an Ägypten, und die Phönicier, denen Sidon gehört, wohnen in Syrien.



***
117.

Es wird aber aus diesen Worten und aus dieser Stelle vollkommen klar, daß die Kyprischen Gedichte[3] nicht von Homer sind, sondern von irgend einem anderen. Denn in den Kyprischen Gedichten ist gesagt, daß Alexandros am dritten Tage von Sparta nach Ilium mit der Helena kam, weil er günstigen Wind hatte und das Meer ruhig war, in der Ilias aber erzählt Homer, wie er mit ihr in der Irre herumfuhr.



***
118.

Damit nun wollen wir Homer und die Kyprischen Gedichte verlassen haben. Als ich aber an die Priester die Frage stellte, ob das, was die Griechen über die Vorfälle in Ilium angeben, ein eitles Gerede sei oder nicht, erzählten sie mir darauf folgendes, was sie von Menelaos selbst durch ihre Erkundigung erfahren haben wollten. Nach dem Raube der Helena sei ein großes Heer der Hellenen, welches dem Menelaos beistand, in das Teukrische Land gekommen, wo sie nach der Landung sich festgesetzt und Boten nach Ilium entsendet hätten, mit welchen auch Menelaos selbst gegangen sei. Diese wären in die Stadt eingezogen und hätten die Helena samt den Schätzen, welche Alexandros bei seinem Weggange mitgenommen, zurückverlangt und um Genugthuung wegen des Unrechts gebeten; die Teukrer hätten aber damals, wie später, dieselbe Sprache geführt, und mit Schwur wie ohne Schwur versichert, sie hätten gar nicht die Helena und ebensowenig die angerufenen Schätze, sondern dies alles wäre in Ägypten, und somit wäre es unbillig, daß sie Genugthuung für das leisten sollten, was Proteus, der König von Ägypten, besitze. Die Hellenen aber glaubten, man spotte ihrer, und begannen so die Belagerung, bis sie die Stadt eroberten. Als nun nach der Einnahme der Stadt Helena nicht zum Vorschein kam, und sie dieselbe Rede, wie früher, vernahmen, da erst glaubten die Hellenen der früheren Rede und entsendeten den Menelaos selbst zu Proteus.



***
119.

Als darauf Menelaos nach Ägypten kam und nach Memphis hinausfuhr, fand er, als er den Vorfall wahrheitsgemäß erzählt hatte, eine sehr gastliche Aufnahme und erhielt die Helena, der kein Leid widerfahren war, wieder zurück und überdem alle seine Schätze. Aber Menelaos, obwohl er dies alles erhalten, benahm sich ungerecht gegen die Ägypter. Wie er nämlich wegfahren wollte, hielten widrige Winde ihn zurück, und als dies längere Zeit andauerte, ersann er folgende gottlose That; er nahm zwei Knaben von eingeborenen Männern und schlachtete sie als Opfer ab[1] ; hernach, als die That ruchbar geworden war, ergriff er, gehaßt und verfolgt, eilends die Flucht mit seinen Schiffen nach Libyen zu. Wo er nun von da aus sich hingewendet, wußten die Ägypter nicht mehr anzugeben; dieses aber hätten sie teils durch die Nachforschungen in Erfahrung gebracht, teils wüßten sie bestimmt, daß es bei ihnen sich zugetragen habe.



***
120.

Also erzählten die ägytischen Priester; ich selbst aber pflichte der Erzählung von der Helena gleichfalls bei und füge noch folgendes hinzu: Wäre die Helena in Ilium gewesen, so wäre sie den Hellenen zurückgegeben worden, Alexandros mochte wollen oder nicht. Denn wahrhaftig, Priamus war nicht so bethört, noch waren es seine Anverwandten, daß sie um ihres eigenen Lebens willen, um ihre Kinder und ihre Stadt sich einer solchen Gefahr hätten aussetzen wollen, nur damit Alexandros mit Helena zusammenlebe. Wären sie aber auch wirklich in den ersten Zeiten des Krieges dieser Ansicht gewesen[1] , so würde doch, als viele von den übrigen Trojanern, sooft sie mit den Hellenen in Kampf gerieten, umkamen, ja sogar von den Söhnen des Priamus selbst jedesmal zwei oder drei oder noch mehr im Kampfe fielen, wenn man den epischen Dichtern[2] Glauben schenken darf, unter solchen Umständen, meine ich, würde Priamus, auch wenn er selbst die Helena zum Weibe gehabt hätte, sie den Achäern zurückgegeben haben, wenn er dadurch von den gegenwärtigen Leiden frei werden konnte. Auch ging die königliche Würde keineswegs auf den Alexandros über, so daß dieser, da Priamus ein Greis war, die Regierung geführt hätte, sondern Hektor, welcher nicht bloß älter, sondern auch weit mehr als jener ein Mann war, sollte nach des Priamus Tode das Reich bekommen. Diesem aber kam es doch nicht zu, seinen frevelnden Bruder gewähren zu lassen, zumal, da um dessen willen großes Unglück nicht bloß ihn selbst, sondern auch alle übrigen Troer betraf. Aber sie konnten die Helena gar nicht herausgeben[3] , und es glaubten ihnen auch die Hellenen nicht, ungeachtet sie die Wahrheit sagten, weil, wenn ich nun meine Ansicht aussprechen soll, die Gottheit es so anstiftete, auf daß sie durch ihren gänzlichen Untergang es aller Welt klar machen sollten, daß für großen Frevel auch große Strafen von seiten der Götter[4] erfolgen. Und dies ist von mir gesagt, so wie ich es ansehe.




121.

Des Proteus Herrschaft übernahm denn, wir sie[1] angeben, Rhampsinit[2] , welcher ein Denkmal von sich hinterließ, die nach Westen gerichtete Vorhalle des Tempels des Hephästos[3] ; dieser Vorhalle gegenüber stellte er zwei Bildsäulen auf, fünfundzwanzig Ellen groß, von welchen die Ägypter die nach Norden zu gerichtete Sommer und die südwärts gerichtete Winter nennen; jene, welche sie Sommer nennen, verehren sie und erweisen ihr Gutes, dem sogenannten Winter aber thun sie das Gegenteil davon.[4]

§ 1. Dieser König, versicherten sie[5] , hätte einen großen Reichtum an Silber gehabt, worin keiner der Könige, die nach ihm gekommen, ihn zu übertreffen vermocht oder ihm nur nahe gekommen wäre. Weil er nun seine Schätze mit Sicherheit aufbewahren wollte[6] , so ließ er ein steinernes Gemach bauen, dessen eine Wand an die Außenseite seiner Wohnung stieß, wobei der Baumeister folgendes ersann: er richtete es so ein, daß von den Steinen einer mit Leichtigkeit von zwei Männern, oder auch von einem einzigen, herausgenommen werden konnte. Als nun der Bau vollendet war, ließ der König seine Schätze darin aufbewahren. Als aber nach Verlauf einiger Zeit der Baumeister am Ende seines Lebens sich befand, so rief er seine Söhne — er hatte deren zwei — zu sich und erzählte ihnen, wie er aus Fürsorge für sie, damit sie reichlich zu leben hätten, bei dem Bau des königlichen Schatzhauses eine List gebraucht hätte; dann erklärte er ihnen alles genau, was auf die Herausnahme des Steines sich bezog, und gab ihnen das Maß desselben mit der Bemerkung, sie würden, wenn sie darauf stets acht hätten, Verwalter der königlichen Schätze sein. Darauf starb er; seine Söhne aber machten sich ohne langen Verzug ans Werk: sie begaben sich nachts zur königlichen Residenz, fanden auch bald den Stein an dem Gebäude und führten mit Leichtigkeit die Sache aus und trugen vieles von den Schätzen hinweg.

§ 2. Als aber der König einmal zufällig das Gemach öffnete, geriet er in Verwunderung bei dem Anblick der ihrer Schätze entleerten Gefäße, da er nicht wußte, wem er Schuld geben sollte, indem die Siegel unverletzt waren und das Gemach wohl verschlossen. Als er aber zum zweiten und zum dritten Male das Haus öffnete und seine Schätze immer geringer wurden — denn die Diebe ließen von ihrer Räuberei nicht ab — so veranstaltete er folgendes; er befahl Schlingen zu verfertigen und diese um die Gefäße, in welchen seine Schätze sich befanden, zu legen. Als nun die Diebe wie in der früheren Zeit kamen und einer von ihnen, welcher hineingeschlüpft war, als er dem Gefäße nahe kam, in der Schlinge sofort gefangen wurde, da erkannte er, in welcher schlimmen Lage er war und rief seinen Bruder, sogleich hereinzuschlüpfen und ihm den Kopf abzuhauen, damit er nicht, gesehen und erkannt, wer er wäre, auch ihn ins Verderben stürze. Dieser fand, daß er recht hatte: er folgte ihm und that also; dann fügte er den Stein wieder ein und begab sich nach Hause mit dem Kopf seines Bruders.

§ 3. Als es aber Tag geworden, trat der König ein in das Gemach und war erstaunt, wie er den Leib des Diebes in der Schlinge erblickte ohne Kopf, während das Gemach unverletzt geblieben war und weder einen Eingang noch einen Ausgang irgendwie hatte. Und weil er nicht wußte, wie er es machen sollte, that er folgendes: er ließ den Leichnam des Diebes an der Mauer aufhängen und stellte Wächter dazu, mit dem Austrage, wenn sie irgend jemand weinend oder von Mitleiden ergriffen sähen, so sollten sie denselben ergreifen und zu ihm führen. Als nun der Leichnam aufgehängt war, empfand die Mutter großes Leid[1] ; sie besprach sich mit dem Sohne, der noch am Leben war, und drang in ihn, auf ein Mittel zu sinnen, durch welches es ihm möglich werde, den Leib des Bruders zu lösen und zu ihr zu bringen; wolle er sich aber dies nicht angelegen sein lassen, so drohte sie zum Könige zu gehen und ihn als den anzugeben, der im Besitz der Schätze sei.

§ 1. Als die Mutter dem überlebenden Sohne so hart zusetzte und dieser, aller Vorstellungen ungeachtet, sie nicht davon abbringen konnte, so sann er auf folgendes Mittel. Er machte seine Esel zurecht und füllte Schläuche mit Wein, die er auf die Esel lud, und dann trieb er diese fort. Als er aber an die Stelle kam, wo die Wache des aufgehängten Leichnams sich befand, zog er zwei oder drei herabhängende Zipfel der Schläuche auf. Wie nun der Wein herausfloß, schlug er sich an den Kopf und schrie gewaltig, als wenn er nicht wisse, zu welchem Esel er sich zuerst wenden sollte. Die Wächter aber, als sie den Wein reichlich fließen sahen, liefen auf die Straße mit Gefäßen und sammelten den ausgestossenen Wein, der ihnen ein guter Fund war, während er sie alle schalt und sich zornig stellte; die Wächter suchten ihn jedoch zu beruhigen, und so stellte er sich auch nach einiger Zeit beruhigt und schien in seinem Zorn nachzulassen; zuletzt trieb er die Esel aus dem Wege und brachte dieselben wieder in Ordnung. Da entspann sich nun ein längeres Gespräch (mit den Wächtern), und einer derselben trieb sogar seinen Spaß mit ihm und suchte ihn lachen zu machen, und so gab er ihnen einen von den Schläuchen, worauf sie sofort, wie sie da waren, sich daselbst niederließen und aufs Trinken dachten; sie nahmen dann auch jenen dazu und forderten ihn auf, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen zu trinken; er aber ließ sich bereden und blieb. Wie sie nun während des Trinkens freundschaftlich mit ihm verkehrten, gab er ihnen noch einen andern Schlauch, und so wurden die Wächter von dem reichlichen Genuß des Weines ganz trunken und verfielen, überwältigt vom Schlafe, dort, wo sie getrunken, in einen Schlummer. Da machte er, wie es spät in der Nacht war, den Leib seines Bruders los und schor den Wächtern zum Spott allen die rechte Wange[1] , legte dann den Leichnam auf die Esel und trieb sie nach Hause, nachdem er vollbracht hatte, was seine Mutter ihm aufgegeben.

§ 5. Als aber dem Könige die Meldung kam, daß der Leichnam des Diebes gestohlen sei, ward er sehr böse, und weil er durchaus herausbringen wollte, wer der Mensch sei, der dies alles so schlau ersonnen, so that er folgendes, was ich jedoch nicht glauben kann: er ließ seine Tochter sich in ein Bordell setzen und trug ihr auf, alle gleicher Weise aufzunehmen, bevor sie jedoch Umgang pflegten, sie zu nötigen, ihr die schlauste und frevelhafteste That anzugeben, die sie je im Leben vollbracht; wenn dann einer den Vorfall mit dem Dieb erzähle, so solle sie ihn ergreifen und nicht zur Thüre hinauslassen. Die Tochter that, wie ihr vom Vater befohlen war, aber der Dieb, als er merkte, weshalb das alles geschehe, wollte den König überlisten und that folgendes: er ging zu ihr, indem er unter seinem Mantel den an der Schulter abgeschnittenen Arm eines frischen Leichnams trug; als er nun eingetreten zu der Tochter des Königs und diese an ihn die Frage stellte, wie an die andern, so erzählte er, wie er die gottloseste That vollbracht habe, als er seinem in dem Schatzhaus des Königs von der Schlinge gefangenen Bruder den Kopf abgehauen, die klügste That aber, wie er die Wächter trunken gemacht und so den aufgehängten Leichnam seines Bruders gelöst habe. Als dies die Tochter hörte, griff sie nach ihm, der Dieb aber hielt ihr in der Dunkelheit den Arm des Leichnams hin, den sie nun erfaßte und festhielt, in der Meinung, sie hielte die Hand des Diebes selbst, der, nachdem er ihr den Arm gelassen, eiligst durch die Thür entfloh.

§ 6. Als dem Könige auch dies gemeldet wurde, geriet er noch mehr in Staunen über die Klugheit und Kühnheit des Menschen; zuletzt sendete er Boten durch alle Städte und ließ ihm Sicherheit anbieten und große Versprechungen machen, wenn er sich vor ihm stellen wolle. Da faßte er Vertrauen und kam zu ihm; Rhampsinit aber verwunderte sich sehr und gab ihm, als dem klügsten unter allen Menschen, diese seine Tochter zur Ehe; denn wie die Ägypter; meinte der König, allen andern Menschen überlegen wären, so sei es jener den Ägyptern.



122.-123

Nach diesem Vorfall, erzählten sie[1] , wäre dieser König lebendig hinuntergegangen an den Ou, den die Hellenen für den Hades halten, und habe dort mit der Demeter Würfel gespielt, wobei bald er, bald diese gewonnen[2] . Darauf sei er wieder auf die Oberwelt zurückgekehrt, mit einem goldenen Handtuch, das er zum Geschenk von der Göttin erhalten. Von der Zeit an aber, wo Rhampsinit in die Unterwelt gestiegen und wieder zurückgekehrt, feierten nach Aussage der Priester die Ägypter ein Fest, von dem ich weiß, daß sie es auch noch bis zu meiner Zeit feiern: jedoch kann ich nicht angeben, ob sie es aus einer andern Ursache oder um dieses Vorfalls willen feiern. Es weben nämlich die Priester an demselbigen Tage einen Mantel und binden einem von ihnen die Augen mit einer Binde zu, dann führen sie ihn mit dem Mantel bekleidet auf den zum Tempel der Demeter führenden Weg und gehen wieder zurück; jener Priester aber mit den verbundenen Augen wird dann, wie sie angeben, von zwei Wölfen[1] in den Tempel der Demeter geführt, der zwanzig Stadien von der Stadt entfernt liegt: und aus diesem Tempel führen ihn dann die Wölfe wieder zurück an dieselbe Stelle.


***
123.

Was nun hier von den Ägyptern erzählt wird, das mag annehmen, wem solche Dinge glaublich erscheinen; mir kommt es bei der ganzen Darstellung (nur) darauf an, daß ich eines jeden Angabe nach dem, was ich vernommen, aufzeichne[2] . Als Herrscher der Unterwelt bezeichnen die Aegypter Demeter und Dionysos[3] : auch sind die Ägypter die ersten, welche behauptet haben, daß die Seele des Menschen unsterblich sei[1] ; wenn aber der Leib vergehe, so trete sie in ein anderes lebendes Wesen, wie es gerade zu der Zeit entsteht, ein; und wenn sie durch alle Land- und Seetiere wie durch die beflügelten Tiere hindurchgegangen, trete sie wiederum in den Leib eines Menschen, welcher geboren wird, ein, diesen Umlauf aber mache sie in einem Zeitraum von dreitausend Jahren[2] . Diese Lehre haben manche von den Hellenen angenommen, wie wenn es ihre eigene wäre, die einen früher[3] , die andern später[4] ; ich kenne zwar ihre Namen, will sie aber hier nicht angeben.[5]




124.-126

Bis auf den König Rhampsinit nun herrschte, wie sie erzählten, in Ägypten ein ganz gesetzlicher Zustand und war das Land in großer Blüte; Cheops aber, der nach ihm König ward[7] , stürzte das Land in eine ganz schlimme Lage; er verschloß nämlich alle Tempel und hielt dadurch von den Opfern ab; dann mußten alle Ägypter für ihn selbst arbeiten. Die einen waren angewiesen, aus den Steinbrüchen an dem arabischen Gebirge[1] Steine bis an den Nil zu schleppen; waren die steine über den Fluß auf Fahrzeugen gebracht, so mußten andere sie aufnehmen und nach dem sogenannten libyschen Gebirge[2] ziehen. Es waren aber je an hunderttausend Menschen immer auf drei Monate mit dieser Arbeit beschäftigt. So war das Volk eine geraume Zeit gedrückt: zehn Jahre brauchten sie zur Anlage des Weges[3] , auf welchem sie die Steine fortzogen, was, nach meiner Ansicht, eine nicht viel geringere Arbeit war als der Bau der Pyramide; denn die Länge des Weges beträgt fünf Stadien, seine Breite zehn Klaftern, die Höhe da, wo er am allerhöchsten ist, acht Klaftern, alles aus poliertem Stein mit eingehauenen Figuren[5] . Also verstrichen zehn Jahre über der Anlage dieses Weges und der an dem Hügel, auf welchem die Pyramiden stehen, befindlichen unterirdischen Kammern, welche er sich zum Begräbnis[6] bauen ließ auf einer Insel, nachdem er einen Kanal des Nils dahin geleitet hatte. Über dem Bau der Pyramide verstrich abe einer Zeit von zwanzig Jahren; eine jede ihrer Seiten nach allen Richtungen hin, denn sie ist vierseitig, beträgt acht Plethren[7] , und ebensoviel beträgt die Höhe; sie ist mit geglätteten, wohl ineinander gefügten Steinen verkleidet, und ist keiner dieser Steine unter dreißig Fuß.


***
125.

Diese Pyramide[1] ward also gebaut nach Art von Treppen, welche einige Stufen, andere Absätze nennen. Nachdem sie nämlich die Pyramide in dieser Gestalt angelegt hatten, so hoben sie die übrigen [zur Verkleidung nötigen] Steine[2] mit Maschinen, die aus kurzen hölzernen Stangen gemacht waren, von der Erde auf die erste Stufe der Treppe empor, und wenn der Stein auf dieselbe gebracht war, ward er auf eine andere Maschine gelegt, welche auf der ersten Stufenreihe sich befand; von dieser ward er dann auf die zweite Stufe auf einer andern Maschine gezogen; denn es waren ebensoviele Maschinen als Stufen der Treppe, oder man brachte auch ein und dieselbe Maschine, da sie leicht zu tragen war, auf jede Reihe, sowie man den Stein weggenommen hatte; denn es soll auf beiderlei Weise von mir angegeben werden, wie man es angiebt. Zuerst ward nun der oberste Teil der Pyramide fertig gemacht[3] , nachher machte man sich an die nächstfolgenden Teile und dann vollendete man den letzten Teil, der an die Erde stieß und ganz unten war. Mit ägyptischer Schrift ist an der Pyramide angegeben, wie viel von den Arbeitern auf Rettiche, Zwiebeln und Knoblauch verwendet worden[4] , und wenn ich mich recht erinnere dessen, was der Dolmetscher[5] , der die Schrift las, mir sagte, so wurden darauf sechzehnhundert Talente[6] Silbers verwendet. Wenn sich dies wirklich so verhält, wie viel muß dann natürlich noch weiter aufgewendet worden sein für das Eisen, mit dem man arbeitete, und für die Nahrung und Kleidung der Arbeiter? Da sie ja die angegebene Zeit an dem Werke bauten, und wie ich glaube. keine geringere Zeit verstrich mit dem Brechen und Fortschaffen der Steine, sowie mit der Arbeit und dem Graben unter der Erde.



***
126.

So weit aber soll es mit der Schlechtigkeit des Cheops gekommen sein, daß er, als er Geld brauchte, seine eigene Tochter in einem Bordell sitzen ließ und ihr auferlegte, eine gewisse Summe Geldes — man gab mir nämlich dieselbe nicht an — zu verdienen; die Tochter verdiente sich auch die vom Vater auferlegte Summe, aber sie gedachte doch noch von sich selber ein Denkmal zu hinterlassen und bat daher einen jeden, der sie besuchte, ihr einen Stein zu diesem Werke zu schenken. Aus diesen Steinen soll nun die Pyramide gebaut worden sein, die in der Mitte der drei steht, vor der großen Pyramide, und an jeder Seite anderthalb Plethren mißt.[1]




127.-128

Dieser Cheops soll nach Angabe der Ägypter fünfzig Jahre geherrscht haben; nach seinem Tode hätte sein Bruder Ehephren[2] das Königreich übernommen, und dieser habe es auf dieselbe Weise getrieben, wie sein Bruder, nicht nur im übrigen, sondern auch in dem Bau einer Pyramide, die jedoch nicht bis zu dem Maße der andern sich erhebt; denn diese haben wir auch selbst gemessen. Es befinden sich weder unterirdische Kammern darunter, noch ist ein Kanal aus dem Nil in dieselbe geleitet, wie er in die andere Pyramide durch einen gemauerten Graben fließt und inwendig um eine Insel sich herumzieht, in welcher Cheops selbst begraben liegen soll. Den Unterbau führte (Chephren) aus buntem äthiopischem Steine auf[3] , wobei er jedoch vierzig Fuß tiefer unter der Größe der andern Pyramide blieb, in deren Nähe er diese aufführte; beide nämlich stehen auf demselben Hügel, in einer Höhe von ungefähr hundert Fuß.[1] Regiert soll Chephren sechs und fünfzig Jahre haben.


***
128.

Dies macht zusammengerechnet hundert und sechs Jahre[2] , in welcher Zeit die Ägypter alle mögliche Drangsal erlitten und die Tempel während der ganzen Zeit verschlossen, nicht geöffnet wurden. Diese [beiden Könige] wollen auch die Ägypter aus Haß gar nicht mit ihren Namen nennen, sogar die Pyramiden nennen sie nach dem Hirten Philitis, welcher zu dieser Zeit sein Vieh in diesen Gegenden weidete.




129.-133

Nach diesem (Chephren) hätte, erzählten sie, Mykerinos[3] , des Cheops Sohn, über Ägypten geherrscht; dieser habe keinen Gefallen gehabt an dem Treiben seines Vaters, sondern die Tempel geöffnet und das bis zur äußersten Not gedrückte Volk wieder gehen lassen zu seinen Beschäftigungen und zum Opferdienst; auch habe er unter allen Königen am gerechtesten Recht gesprochen. In dieser Hinsicht lobt man ihn unter allen Königen von Ägypten, soviele deren bisher dagewesen, am meisten; denn nicht bloß urteilte er in allem gerecht, sondern er gab sogar, wenn jemand infolge des Urteilsspruches sich beschwerte, diesem aus seinen Mitteln eine Unterstützung, um dessen Unmut zu stillen. Während Mykerinos sich so mild bewies gegen seine Mitbürger und sich dies so angelegen sein ließ, traf ihn erstmals[4] ein Unglück durch den Tod seiner Tochter, welche das einzige Kind in seinem Hause war. In großem Schmerz über das Unglück, das ihn betroffen, und in der Absicht, die Tochter in einer glänzenderen Weise zu bestatten als die andern, ließ er eine Kuh[1] verfertigen von Holz, inwendig hohl, dann dieselbe vergolden und darin seine verstorbene Tochter beisetzen.


***
130.

Diese Kuh wurde aber nicht unter die Erde begraben, sondern war noch bis auf meine Zeit zu sehen in der Stadt Sais, wo sie in der königlichen Burg in einem schön gearbeiteten Gemach steht; jeden Tag verbrennt man bei ihr vielerlei Räucherwerk, und jede Nacht wird eine Lampe, die die ganze Nacht hindurch brennt, angezündet. Nahe bei dieser Kuh in einem andern Gemach stehen die Bilder der Kebsweiber des Mykerinos, wie die Priester in der Stadt Sais versicherten; es stehen nämlich daselbst Kolosse von Holz, etwa zwanzig an der Zahl, ganz nackt gearbeitet; wer sie jedoch sind, vermag ich nicht anzugeben, außer dem, was darüber erzählt wird.



***
131.

Es geben aber einige über diese Kuh und über die Kolosse folgende Erzählung: Mykerinos habe sich in seine eigene Tochter verliebt und hernach mit ihr Umgang gepflogen wider ihren Willen; als darauf die Tochter aus Kummer sich erhängt, so ließ er sie in dieser Kuh beisetzen, während ihre Mutter den Dienerinnen, welche die Tochter dem Vater überliefert, die Hände abhauen ließ, und so sei jetzt an den Bildern derselben dasselbe geschehen, was sie im Leben erlitten hatten. Indessen, nach meiner Ansicht, ist diese Erzählung ein eitles Gerede, nicht bloß in den übrigen Punkten, sondern auch namentlich in bezug auf die Hände der Kolosse: denn auch wir haben es selbst gesehen, daß ihnen vor Alter die Hände abgefallen sind, welche noch bis auf meine Zeit zu ihren Füßen lagen.



***
132. Diese Kuh ist an den übrigen Teilen mit einem purpurnen Gewande bedeckt, nur den Nacken und den Kopf läßt sie sehen, beides mit ganz dickem Golde vergoldet; zwischen den Hörnern ist der Kreis der Sonne abgebildet, von Gold. Es steht aber die Kuh nicht aufrecht, sondern sie liegt auf den Knieen; und dieselbe ist so groß, wie etwa eine große lebende Kuh. In jedem Jahre wird sie aus dem Gemach herausgetragen, wenn die Ägypter sich an die Brust schlagen für den Gott, den ich bei einer solchen Sache nicht nennen darf[1] ; dann also bringen sie auch die Kuh heraus an das Tageslicht; denn sie sagen, sie habe sterbend ihren Vater Mykerinos gebeten, sie einmal im Jahre die Sonne sehen zu lassen.

***
133.

Nach dem Unglück mit der Tochter traf diesen König noch ein zweites Unglück; es kam ihm ein Orakel aus der Stadt Buto[2] zu, wonach er bloß noch sechs Jahre zu leben habe und im siebenten sterben werde. Darüber ärgerte er sich sehr und sendete an das Orakel eine Schmähung auf die Gottheit, indem er sich beschwerte, daß sein Vater und Vatersbruder, welche die Tempel verschlossen und um die Götter sich nicht bekümmert, ja sogar die Menschen zu Grunde gerichtet, doch lange Zeit gelebt hätten, während er selbst, ungeachtet er fromm sei, so bald sterben solle. Von dem Orakel aber kam ihm dann ein zweiter Spruch, welcher besagte: eben darum werde auch sein Leben so schnell vergehen; denn er habe das nicht gethan, was er hätte thun sollen; es müsse nämlich Ägypten schlimm ergehen während hundert und fünfzig Jahren; dies hätten auch die beiden Könige, die vor ihm gewesen, wohl erkannt, er aber nicht. Als Mykerinos dies hörte, so ließ er, in dem Glauben, es sei ihm dies also zuerkannt, viele Lampen verfertigen, und wenn es Nacht wurde, ließ er sie anzünden und trank und führte ein Wohlleben, ohne Aufhören bei Tag wie bei Nacht, herumziehend in Niederungen und Hainen und wo er von einem angenehmen Aufenthaltsort hörte. Auf diese Veranstaltung verfiel er, weil er den Götterspruch Lügen strafen wollte, damit es zwölf Jahre aus sechs Jahren würden, indem die Nächte zu Tagen geworden sein.




134.-135

Auch er hinterließ eine Pyramide[3] , die aber viel kleiner ist, als die des Vaters, indem auf jeder Seite zwanzig Fuß fehlen zu drei Plethren; sie ist nämlich viereckig und bis zur Hälfte von äthiopischem Stein[1] . Diese, behaupten einige von den Hellenen, soll die Pyramide der Rhodopis sein, einer Buhlerin, aber sie haben unrecht; ja, es scheint mir, daß sie, wenn sie dies behaupten, gar nicht einmal wissen, wer diese Rhodopis war; sonst hätten sie ihr wohl nicht den Bau einer solchen Pyramide zugeschrieben, auf welche tausende von Talenten, ja, so zu sagen, unzählige verwendet worden: dazu kommt, daß diese Rhodopis zur Zeit des Königs Amasis[2] blühte, aber nicht unter diesem König. Denn erst viele Jahre nach diesen Königen, welche diese Pyramiden hinterlassen haben, lebte Rhodopis, die ihrer Herkunft nach aus Thrakien war und eine Sklavin des Jadmon, des Sohnes des Hephästopolis, eines Samiers, sowie Mitsklavin des Fabeldichters Äsopus[3] . Denn auch dieser gehörte dem Jadmon, wie sich daraus insbesondere ergiebt, daß, als die Delphier mehrmals infolge eines Götterspruches ausrufen ließen, wer das Bußgeld für das Leben des [von ihnen getöteten[4] ]Äsopus nehmen wolle, kein anderer erschien, sondern ein anderer Jadmon, ein Sohn von dem Sohne des Jadmon, es annahm. So gehörte also auch Äsopus dem Jadmon.


***
135.

Rhodopis aber war nach Ägypten durch den Samier Xanthus gebracht worden; und da sie dahin gekommen war des Erwerbs wegen, so ward sie um einen hohen Preis losgekauft von einem Mitylenäer Charaxus, dem Sohne des Skamandronymus und dem Bruder der Dichterin Sappho. Auf diese Weise ward Rhodopis frei und blieb in Ägypten, wo sie, weil sie sehr schön war[1] , viel Geld sich erwarb, für eine Rhodopis nämlich, aber nicht so viel, um davon eine solche Pyramide zu bauen. Denn ein jeder, der da will, kann noch bis auf diesen Tag den zehnten Teil ihres Vermögens sehen, und deshalb darf man ihr gar nicht ein so großes Vermögen zuschreiben. Rhodopis wünschte nämlich, ein Denkmal von sich in Hellas zu hinterlassen, und ließ zu diesem Zweck ein Werk verfertigen, wie noch nicht einem andern je in den Sinn gekommen noch in einem Heiligtum niedergelegt worden war, um dasselbe dann nach Delphi zu weihen als ein Denkmal der Erinnerung von ihr. Von dem zehnten Teil ihres Vermögens also ließ sie viele eiserne Spieße zum Braten von Ochsen verfertigen, soweit dieses Zehntel ausreichte, und schickte sie dann nach Delphi, wo sie auch jetzt noch auf einem Haufen liegen, hinter dem Altar, welchen die Chier geweiht haben, gegenüber dem Tempelhause selbst. Es pflegen aber wohl die Buhlerinnen zu Naukratis schön zu sein. Denn nicht blos diese (Rhodopis), von der diese Geschichte erzählt wird, ist in der That so berühmt geworden, daß sogar alle Hellenen den Namen der Rhodopis kennen, sondern auch später, nach dieser, ward eine andere, mit Namen Archedike, in Hellas bekannt, wenn auch weniger berühmt als die andere. Als nun Charaxus, der die Rhodopis losgekauft hatte, nach Mitylene zurückgekehrt war, so verspottete ihn mehrfach Sappho in einem Liede.




136.

Damit höre ich nun auf, über die Rhodopis zu berichten. Nach dem Mykerenos, so erzählten die Priester, wäre Asychis[2] König von Ägypten geworden, welcher die nach Sonnenaufgang gerichtete Vorhalle[3] , bei weitem die schönste und größte, dem Hephästos gebaut hat. Es sind nämlich auch an allen anderen Vorhallen Bilder eingehauen und ist sonst noch unzähliges andere an den Bauten zu sehen, jene aber enthält bei weitem das meiste. Unter diesem Könige, erzählten sie weiter, sei infolge einer großen Stockung im Geldverkehr ein Gesetz für die Ägypter gegeben worden, welches gestattete, unter Verpfändung des Leichnams des Vaters eine Schuld aufzunehmen; zu diesem Gesetz sei dann noch ein anderes hinzugekommen, wonach der Gläubiger Herr sein solle über das ganze Familiengrab des Schuldners; dem aber, der das Unterpfand gab, ward die Strafe auferlegt, daß, wenn er die Schuld nicht zurückerstatten wollte, weder er selbst im Tode einer Bestattung teilhaftig werde, es sei in jenem väterlichen Grabe oder in einem anderen, noch irgend einer der Seinigen, wenn er gestorben, begraben würde.[1] Es wünschte aber dieser König die Könige, die vor ihm über Ägypten geherrscht, zu übertreffen, und so hinterließ er als Denkmal eine aus Ziegeln gebaute Pyramide, auf welcher im Stein[2] folgende Inschrift eingegraben war:

"Halte mich nicht gering im Vergleich mit den steinernen Pyramiden: denn ich rage vor ihnen ebenso hervor, wie Zeus vor den übrigen Göttern! Denn mit der Stange in den See stechend, sammelten sie, was von Schlamm an der Stange hängen blieb, strichen Ziegel daraus und erbauten mich auf solche Weise."

So vieles hat dieser König aufzuweisen.



137.-140

Nach diesem ward König ein blinder Mann aus der Stadt Anysis[1][2] , welcher auch den Namen Anysis hatte. Unter diesem Könige zogen wider Ägypten die Äthiopier und ihr König Sabako mit großer Heeresmacht: der blinde König ergriff eilends die Flucht in die Sümpfe, und der Äthiopier ward König über Ägypten fünfzig Jahre hindurch, während welcher er folgendes von sich aufzuweisen hat.[3] Wenn ein Ägypter etwas verbrochen hatte, wollte er keinen von ihnen hinrichten lassen, sondern verurteilte einen jeden nach der Größe seines Vergehens, indem er ihm auferlegte, an den Dämmen zu arbeiten bei seiner Stadt, aus welcher nämlich der Übelthäter her war. Und auf diese Art wurden die Städte höher gelegt. Zuerst nämlich waren sie aufgeschüttet worden von denen, welche unter dem König Sesostris die Gräben gezogen hatten 4 , nachher aber wurden sie unter dem Äthiopierkönig noch sehr hoch. Es haben nun zwar auch andere Städte in Ägypten eine erhöhte Lage, am meisten jedoch, wie ich glaube, ist dies der Fall bei der Stadt Bubastis[5] , in welcher auch ein höchst bemerkenswertes Heiligtum der Bubastis sich befindet; denn es giebt wohl noch größere und mit mehr Aufwand erbaute Tempel, aber keiner gewährt einen so angenehmen Anblick wie dieser. Die Bubastis aber ist nach der Sprache der Hellenen Artemis.[6]



138.

Mit diesem Tempel verhält es sich also: nimmt man den Eingang aus, so ist alles andere eine Insel: aus dem Nil nämlich gehen [zwei] Gräben dahin, die sich mit einander nicht vereinigen; sondern ein jeder derselben läuft bis zu dem Eingang des Tempels, der eine von dieser, der andere von der anderen Seite ihn umfließend, ein jeder in einer Breite von hundert Fuß und mit Bäumen beschattet. Die Vorhalle hat eine Höhe von zehn Klaftern[1] und ist mit sechs Ellen[2] großen merkwürdigen Bildern versehen; und da das Heiligtum mitten in der Stadt liegt, so wird es von allen Seiten, wenn man herumgeht, erblickt. Weil nämlich die Stadt auf einem durch Schutt erhöhten Boden liegt, das Heiligtum aber unverändert geblieben ist, wie es von Anfang an angelegt worden, so läßt es sich übersehen; es läuft um dasselbe herum eine Mauer, in welche Bilder eingegraben sind, im Innern aber ist ein Hain von sehr großen Bäumen angepflanzt um ein großes Tempelhaus, in welchem das Götterbild sich befindet; die Breite und Länge des Heiligtums beträgt nach jeder Seite hin ein Stadion[3] . Bei dem Eingang ist ein mit Steinen gepflasterter Weg in einer Länge von ungefähr drei Stadien, welcher mitten durch den Markt in östlicher Richtung sich zieht in einer Breite von etwa vier Plethren[4] ; an beiden Seiten des Weges stehen Bäume, die hoch in die Lüste ragen; es führt aber dieser Weg zu dem Heiligtum des Hermes. Also verhält es sich mit diesem Heiligtum.


***
139.

Endlich aber, erzählten sie, wären sie des äthiopischen Königs auf folgende Weise los geworden. Er wäre eilends davongeflohen, nachdem er im Schlaf folgendes Traumgesicht gesehen: es kam ihm vor, wie wenn jemand zu ihm trete und ihm den Rat gebe, alle Priester in Ägypten zusammenzubringen und in der Mitte durchzuschneiden. Als er dieses Gesicht erblickt, erklärte er, es käme ihm vor, wie wenn die Götter ihm damit eine Veranlassung geben wollten, daß er an der Religion sich versündige und dadurch irgend ein Unglück von seiten der Götter oder der Menschen sich zuzöge[5] ; darum werde er es nicht thun, sondern, da seine Zeit abgelaufen, in der er nach dem Spruch des Orakels über Ägypten herrschen sollte, werde er dasselbe verlassen. Denn als er noch in Äthiopien war, hatte das Orakel, das die Äthiopier befragten, den Spruch gethan, er müßte fünfzig Jahre lang über Ägypten herrschen. Als nun diese Zeit vorbei war und überdem der Götterspruch ihn zu beunruhigen anfing, zog Sabako von freien Stücken aus Ägypten ab.



***
140.

Nach dem Abzuge des äthiopischen Königs aus Ägypten gelangte der Blinde wieder zur Herrschaft, der aus den Sümpfen kam, wo er fünfzig Jahre auf einer Insel, die er aus Asche und Erde sich aufgedämmt hatte, wohnte. Wenn nämlich die Ägypter ihn besuchten, um ihm Lebensmittel zu bringen, so wie es einem jeden aufgetragen war, ohne daß der Äthiopier davon wußte, forderte er sie auf, ihm zum Geschenk auch etwas Asche mitzubringen. Und diese Insel vermochte vor Amyrtäus[1] niemand aufzufinden, sondern länger als siebenhundert[2] Jahre waren die, welche vor Amyrtäus Könige gewesen, nicht imstande, dieselbe aufzufinden. Es führt diese Insel den Namen Elbo[3] und hat eine Größe von zehn Stadien nach allen Seiten.




141.

Nach diesem ward König der Priester des Hephästos, dessen Name Sethon[4] war. Dieser machte sich nichts aus den Kriegern Agyptens und verachtete sie, wie wenn er derselben gar nicht bedürfte; ja er that ihnen manchen Schimpf an und nahm ihnen die Felder weg, die unter den früheren Königen ihnen zugewiesen worden waren, zwölf Morgen einem jeden. Als aber später Sanacharibus, der König der Araber und Assyrier, ein großes Heer wider Ägypten führte, da wollten nun auch die ägyptischen Krieger ihm keine Hilfe leisten. In dieser Verlegenheit und Bedrängnis trat der Priester in das Heiligtum und weinte vor dem Bilde des Gottes über das Unglück, das ihn treffen würde. Über diesem Jammern überfiel ihn der Schlaf, und es kam ihm vor im Traume, wie wenn der Gott zu ihm träte und ihm Mut zuspräche, daß ihn kein Leid treffen solle, wenn er dem Heere der Araber entgegenziehe; denn er selbst werde ihm Hilfe senden. Auf dieses Traumgesicht nun vertrauend, nahm er die Ägypter mit sich, die ihm folgen wollten, und schlug sein Lager bei Pelusium auf: dort nämlich sind die Eingänge [in das Land]; keiner von den Kriegern war ihm dahin gefolgt, sondern nur Krämerleute, Handwerker und allerlei müßiges Volk. Und als sie daselbst angekommen waren, wurden mit einem Mal in der Nacht ihre Gegner von einer Menge Feldmäuse überfallen, welche die Köcher derselben, die Bogen und außerdem noch die Handhaben der Schilde dergestalt zerfraßen, daß sie am folgenden Tage die Flucht ergriffen und ihrer viele, da sie ohne Waffen waren, umkamen.[1] Auch jetzt steht noch ein Bild des Königs von Stein aufgerichtet in dem Tempel des Hephästos mit einer Maus[2] in der Hand und folgender Inschrift: "Im Hinblick auf mich soll ein jeder fromm sein."



142.

So weit in der Erzählung gehen die Angaben der Ägypter und ihrer Priester; nach ihrer Darlegung sind von dem ersten Könige an bis auf diesen Priester des Hephästos, welcher zuletzt geherrscht, dreihundertundeinundvierzig Menschenalter verstrichen, innerhalb deren ebensoviele Oberpriester und Könige gewesen.[3] Nun aber machen dreihundert Menschengeschlechter zehntausend Jahre aus; denn drei Menschengeschlechter kommen auf hundert Jahre;[4] die übrigen einundvierzig Geschlechter, welche zu den dreihundert hinzukommen, machen dann noch tausenddreihundertundvierzig Jahre. Also, behaupteten sie, in diesen elftausend- dreihundertundvierzig Jahren wäre kein Gott in Menschengestalt erschienen; aber auch weder früher noch später unter den übrigen Königen Ägyptens sei etwas der Art geschehen. In dieser Zeit nun, erzählten sie, wäre die Sonne viermal nicht von ihrem gewöhnlichen Platze aus aufgegangen: da, wo sie jetzt untergeht, wäre sie zweimal aufgegangen, und da, wo sie jetzt aufgeht, wäre sie zweimal untergegangen, ohne daß während dieser Zeit mit irgend etwas in Ägypten eine Veränderung eingetreten wäre, weder mit dem, was aus der Erde, noch mit dem, was aus dem Fluß kommt, und ebensowenig in bezug auf Krankheiten und Todesfälle.[1]



143.

Wie es nun früher die Priester des Zeus dem Geschichtschreiber Hekatäus gemacht hatten, als er zu Theben sein Geschlecht angab und seinen Stamm zurückführte im sechzehnten Glied auf einen Gott[3,] ebenso machten sie es auch mir, obwohl ich ihnen nicht mein Geschlecht hergezählt hatte. Sie führten mich nämlich in das Innere des Tempels, welches geräumig ist, zählten mir dann auf und zeigten mir die hölzernen Kolosse, deren es ebensoviele waren, als sie nannten; denn jeder Oberpriester läßt dort noch während seines Lebens sein Bild aufstellen. Es suchten mir nun die Priester nachzuweisen, indem sie dieselben aufzählten und mir zeigten, daß jedesmal hier der Sohn auf seinen Vater folge, und so gingen sie von dem Bilde des zunächst Verstorbenen an alle der Reihe nach durch, bis sie dieselben sämtlich angegeben hatten. Als aber Hekatäus sein Geschlecht hergezählt und im sechzehnten Gliede auf einen Gott zurückgeführt hatte, stellten sie dem bei dieser Aufzählung eine andere Geschlechtsableitung entgegen, indem sie eben das von ihm nicht gelten lassen wollten, daß ein Mensch von einem Gotte abstamme; sie stellten eine Geschlechtsableitung in der Weise auf, daß sie behaupteten, ein jeder dieser Kolosse sei ein Piromis gewesen, der von einem Piromis abstamme, und dies wiesen sie bei den dreihundertfünfundvierzig Kolossen nach, indem immer ein Piromis von einem Piromis abstamme, ohne daß sie an einen Gott oder Heros dieselben anknüpften. Piromis aber heißt in hellenischer Sprache ein tüchtiger und trefflicher Mann.[1]



144.-146

So suchten sie mir also nachzuweisen, daß alle die, deren Bilder sich hier befanden, solche [Menschen] gewesen, weit entfernt von aller göttlichen Herkunft. Vor diesen Menschen hätten allerdings Götter über Ägypten geherrscht, die zusammen mit den Menschen gewohnt hätten[2] , und von diesen sei stets einer der Gebieter [über die andern]gewesen. Zuletzt habe über Ägypten Horus geherrscht, des Osiris Sohn, den die Hellenen Apollo nennen[3] ; dieser sei, nach Bewältigung des Typhon, der letzte König Ägyptens gewesen. Osiris aber heißt in hellenischer Sprache Dionysos.[4]


***
145.

Bei den Hellenen nun gelten Herakles, Dionysos und Pan für die jüngsten Götter; bei den Ägyptern aber ist Pan der älteste und einer von den acht Göttern, welche die ersten genannt werden, Herakles einer der zweiten, welche die zwölf Götter genannt werden, und Dionysos einer der dritten, welche von diesen zwölf Göttern[1] abstammen. Wie viele Jahre es nun nach dem, was die Ägypter selbst sagen, von Herakles bis auf den König Amasis sind, ist von mir oben angegeben worden;[2] von Pan an sollen es noch viel mehr sein, von Dionysos an aber am wenigsten; und doch rechnen sie von diesem bis auf den König Amasis fünfzehntausend Jahre. Und dies behaupten die Ägypter mit aller Bestimmtheit zu wissen, weil sie stets nachrechnen und stets die Jahre aufzeichnen. Nun sind es von Dionysos, welcher von der Semele, der Tochter des Kadmos, abstammen soll, etwa sechzehnhundert Jahre bis auf meine Zeit[3] ; von Herakles, dem Sohne der Alkmene, gegen neunhundert Jahre; von Pan, dem Sohne der Penelope (denn von dieser und von Hermes[4] stammt nach der Angabe der Hellenen Pan ab) sind noch weniger Jahre, als von den trojanischen Zeiten an, gegen achthundert Jahre ungefähr bis auf meine Zeit.



***
146.

Von diesen beiden Meinungen kann nun ein jeder diejenige annehmen, die ihm glaubwürdiger erscheint; ich selbst habe darüber meine Ansicht schon dargelegt[3] . Denn wenn, gleichwie Herakles, der Sohn des Amphitryo, eben auch die anderen, nämlich Dionysos, der Sohn der Semele, und der von Penelope geborene Pan, in Hellas berühmt und alt geworden wären, so hätte man etwa behaupten können, auch sie wären Menschen gewesen und hätten dann die Namen jener Götter bekommen, die schon vor ihnen dagewesen. Nun aber behaupten die Hellenen, Zeus habe den Dionysos gleich nach der Geburt in seine Hüfte genäht und nach Nysa[6] , das oberhalb Ägypten in Äthiopien liegt, gebracht, und vollends hinsichtlich des Pan wissen sie nicht anzugeben, wohin er nach seiner Geburt sich gewendet. Daraus nun ist es mir klar geworden, daß die Hellenen die Namen dieser Götter später erfahren haben, als die der übrigen Götter; aber von der Zeit an, daß sie dieselben erfahren, rechnen sie ihre Entstehung.




147.

Dieses also geben die Ägypter selbst an; was aber weiter die übrigen Menschen und die Ägypter übereinstimmend mit den übrigen angeben, daß es in diesem Lande sich zugetragen, das will ich nunmehr angeben; es wird aber auch von dem, was ich selbst gesehen, noch einiges hinzukommen.[1]

Als die Ägypter nach der Herrschaft des Priesters des Hephästos wieder frei geworden waren, so setzten sie, weil sie zu keiner Zeit ohne einen König zu leben vermochten, zwölf Könige ein und teilten ganz Ägypten in zwölf Teile.[2] Diese Könige, die sich unter einander verschwägert hatten, herrschten über das Land in einer Weise, daß sie festsetzten, sie wollten einander nicht vertreiben und keiner solle suchen, vor dem anderen etwas voraus zu haben, sondern sie wollten mit einander die besten Freunde sein. Sie trafen aber deshalb die Bestimmungen und hielten streng darauf, weil ihnen gleich am Beginn ihres Eintrittes in die Herrschaft das Orakel zugekommen war, derjenige von ihnen, welcher mit einer ehernen Schale im Tempel des Hephästos eine Spende darbringe, werde König von ganz Ägypten werden; so kamen sie denn in allen Tempeln [des Landes]zusammen.[1]



148.

Auch beschlossen sie, gemeinsam ein Denkmal zu hinterlassen: infolge dieses Beschlusses erbauten sie das Labyrinth , das ein wenig oberhalb des Sees Möris, nahe bei der sogenannten Krokodilstadt liegt, ein Werk über alle Beschreibung, das ich selbst gesehen habe. Denn wenn jemand die von Hellenen aufgeführten Mauern und sonstigen vollendeten Werke zusammenrechnen wollte, so würden sie doch als Werke geringerer Mühe und geringeren Aufwandes erscheinen, als dieses Labyrinth; es ist zwar der Tempel zu Ephesus[1] und auch der zu Samos[2] wohl der Rede wert, ebenso waren auch die Pyramiden über alle Beschreibung und wiegt eine jede derselben viele große hellenische Werke auf: das Labyrinth aber übertrifft auch noch die Pyramiden. Denn es hat zwölf bedeckte Höfe mit einander gegenüberstehenden Thüren, sechs nach Norden und sechs nach Süden zu, aneinanderstoßend; ein und dieselbe Mauer umschließt sie von außen. Es befinden sich darin zweifache Kammern, die einen unter der Erde, die anderen oberhalb auf diesen, in allem dreitausend, und von jeder der beiden Arten fünfzehnhundert; die über der Erde befindlichen Kammern sah ich selbst bei dem Durchgang durch dieselben und rede davon aus eigener Anschauung, die unterirdischen kenne ich nur aus der Erzählung; denn die Ägypter, die darüber gesetzt sind, wollten mir sie durchaus nicht zeigen, indem sie vorgaben, es seien daselbst die Gräber der Könige, welche von Anfang an dieses Labyrinth erbaut, sowie der heiligen Krokodile. Auf diese Weise kann ich von den unterirdischen Kammern nur das angeben, was ich von Hörensagen vernommen; die oberen Kammern, ein Werk, das über allen menschlichen Werken steht, sah ich selbst. Denn die Ausgänge durch die Kammern und die Windungen durch die Höfe, welche mannigfach sind, bieten tausend Wunder denen, welche von dem Hofe aus in die Kammern gehen und aus den Kammern in die Vorhallen und aus den Vorhallen in andere Kammern und wieder in andere Höfe aus den Gemächern. Über allem dem ist eine Decke von Stein, wovon auch die Wände sind, welche voll sind von eingeschnittenen Bildern; ein jeder Hof aber ist rings herum mit Säulen umgeben, von weißem, vorzüglich zusammengefügtem Stein; an die Ecke, wo das Labyrinth endet, stößt eine Pyramide[3] von vierzig Klaftern, in welcher große Figuren[1] eingeschnitten sind; ein Weg zu derselben ist unter der Erde angelegt.



149.-150

Wiewohl nun dieses Labyrinth ein solches Werk ist, so stellt sich doch der sogenannte Mörissee[2] , neben welchem dieses Labyrinth gebaut ist, als ein noch größeres Wunder dar: denn das Maß seines Umfanges beträgt dreitausendsechshundert Stadien, was sechzig Schoinen ausmacht, gerade so viel, als die Küstenstrecke Agyptens selbst beträgt. Dieser See dehnt sich in die Länge nach Norden und Süden, und hat da, wo er am tiefsten ist, eine Tiefe von fünfzig Klaftern.[3] Daß er von Händen gemacht und gegraben ist, läßt er selbst erkennen. Denn so ziemlich mitten in dem See stehen zwei Pyramiden[4] , von denen eine jede fünfzig Klaftern über dem Wasser emporragt, und in gleicher Tiefe ist sie unter dem Wasser gebaut; auf beiden befindet sich ein Koloß von Stein, sitzend auf dem Thron. So haben diese Pyramiden eine Höhe von hundert Klaftern; diese hundert Klaftern richtig gemessen[1] machen ein Stadion von sechs Plethren, indem die Klafter zu sechs Fuß und vier Ellen gemessen wird, der Fuß aber vier und die Elle sechs Hände mißt.[2] Das Wasser, das in dem See ist, kommt nicht aus der Erde selbst, denn die Gegend dort ist ganz wasserarm, sondern ist aus dem Nil mittelst eines Kanals hineingeleitet[2] ; sechs Monate fließt es landeinwärts in den See und sechs Monate fließt es wieder heraus in den Nil; wenn es herausfließt, so wirft der See während der sechs Monate jeden Tag ein Silbertalent [4715 Mark] in den königlichen Schatz von der Fischerei, wenn aber das Wasser in denselben fließt, so beträgt der Ertrag nur zwanzig Minen [1572 Mark].[3]


***
150.

Es erzählten die Einheimischen auch, daß dieser See sich in die Libysche Syrte unter der Erde ergieße, indem er gegen Abend in das Binnenland sich hinziehe längs des Gebirges oberhalb Memphis. Da ich aber nirgends den aus diesem Graben ausgeworfenen Schutt bemerkte, so frug ich, weil mir die Sache allerdings angelegen war, die zunächst am See Wohnenden, wo denn die ausgegrabene Erde sich befinde. Diese gaben mir darauf an, wohin dieselbe gebracht worden, und überzeugten mich dessen leicht; denn ich hatte erzählen hören, daß auch bei der assyrischen Stadt Ninus[4] etwas Ähnliches sich zugetragen. Es hatten nämlich Diebe den Plan gefaßt, die Schätze des Sardanapallus[1] , des Königs von Ninus, welche bedeutend waren und in unterirdischen Schatzkammern bewahrt wurden, wegzubringen; sie fingen daher einen Graben an, den sie von ihrer eigenen Wohnung unter der Erde bis zur königlichen Residenz nach der Berechnung fortzogen; die Erde aber, die aus dem Graben kam, trugen sie, wenn es Nacht geworden, in den Fluß Tigris, der an der Stadt Ninus vorbeifließt, bis sie auf diese Weise das, was sie beabsichtigt, ausgeführt hatten. Etwas Ähnliches, hörte ich, wäre auch bei dem Graben des Sees in Ägypten geschehen, nur habe man es nicht in der Nacht, sondern bei Tage gethan; die Ägypter nämlich, welche mit dem Graben zu thun hatten, trugen die Erde in den Nil, der sie aufnahm und natürlich zerstreute. Auf diese Art soll dieser See gegraben worden sein.




151.-152

Als nun jene zwölf Könige, die die Gerechtigkeit unter einander übten, nach einiger Zeit in dem Tempel des Hephästos ein Opfer darbrachten und an dem letzten Tage des Festes der Oberpriester ihnen die goldenen Schalen herausbrächte, mit welchen sie zu spenden pflegten, versah er sich in der Zahl und brachte nur elf, während es ihrer zwölf waren. Da nahm Psammetichus[2] , welcher zuletzt unter ihnen stand und keine Schale hatte, seinen Helm ab, welcher von Erz war[3] , hielt ihn unter und brachte die Spende dar. Es trugen zwar auch alle anderen Könige Helme und damals gerade hatten sie dieselben; auch hatte Psammetichus, als er den Helm unterhielt, durchaus nichts Arges dabei im Sinn; die anderen jedoch erwogen wohl in ihrem Herzen, was von Psammetich gethan worden war, und dachten an den Orakelspruch, der ihnen zuteil geworden, wonach derjenige von ihnen, welcher mit einer ehernen Schale die Spende darbringe, Alleinherrscher von Ägypten werden würde; dieses Orakels eingedenk, hielten sie es zwar nicht für recht, den Psammetichus zu töten, weil sie bei näherer Prüfung fanden, daß er ohne allen Vorbedacht so gehandelt; aber sie beschlossen, ihm den größten Teil seiner Macht zu entziehen und ihn in die Sümpfe[1] zu verstoßen: aus den Sümpfen, dachten sie, werde er nicht mehr herauskommen und mit dem übrigen Ägypten in keinem Verkehr stehen.


***
152.

Dieser Psammetichus war früher schon einmal vor dem Äthiopier Sabako, der seinen Vater Nekon getötet, enflohen, und damals, wo er nach Syrien geflohen, hatten ihn die Ägypter, welche aus dem Saïtischen Gau sind, wieder zurückgeführt, als infolge des Traumgesichtes der Äthiopier das Land verlassen hatte. Und später, wie er König war, traf es ihn zum zweiten Male, daß er, von den elf Königen vertrieben, um des Helmes wegen in das Sumpfland fliehen mußte. Er nun, in der Überzeugung, daß er von diesen mißhandelt worden, gedachte an denen, die ihn verstoßen, Rache zu nehmen. Er sendete nach der Stadt Buto zu dem Orakel der Leto, wo ja das untrüglichste Orakel Ägyptens ist[2] , und erhielt die Antwort, es werde Rache kommen durch eherne Männer, die von dem Meere aus erscheinen würden. Nun wollte er zwar durchaus nicht glauben, daß eherne Männer zu seinem Beistande kommen würden; allein es war nicht lange Zeit verstrichen, so wurden Männer aus Jonien und Karien[3] , welche ausgesegelt waren, um Beute zu machen, durch das Schicksal nach Ägypten verschlagen; als sie aber in ihrer ehernen Rüstung ans Land gestiegen waren, kam ein Ägypter, der noch nie vorher mit Erz gewappnete Männer gesehen hatte, zu Psammetichus in das Sumpfland und machte ihm die Meldung, eherne Männer seien von der See aus angekommen und verheerten die Ebene. Dieser merkte alsbald, daß das Orakel in Erfüllung gehe: er schließt Freundschaft mit den [gelandeten]Ioniern und Karern und beredet sie durch große Versprechungen, mit ihm zu ziehen. Als ihm dies gelungen war, so stürzt er, ebensowohl durch die Ägypter, die mit ihm waren, als durch diese Hilfsvölker, die Könige.




153.-154

Nachdem Psammetichus Herr von ganz Ägypten geworden war, erbaute er dem Hephästos zu Memphis die gegen Süden gewendete Vorhalle[1] , dann baute er für den Apis einen Hof, in welchem der Apis, wenn er erschienen ist, unterhalten wird, gegenüber der Vorhalle, und ist derselbe ganz umgeben mit Säulen und voll von Bildern[2] ; statt der Säulen stützen den Hof Kolosse von zwölf Ellen. Apis aber heißt in der hellenischen Sprache Epaphos.[3]


***
154.

Den Ioniern und allen denen, die ihm geholfen hatten, überliess Psammetichus zum Wohnen Ländereien[4] , welche einander gegenüberlagen und in denen sie den Nil in der Mitte hatten: Lager[5] wurden sie genannt. Er gab aber ihnen nicht nur diese Ländereien, sondern that auch alles andere, was er ihnen versprochen hatte, ja, er übergab ihnen sogar ägyptische Knaben zum Unterricht in der griechischen Sprache: und von diesen, welche die Sprache erlernt hatten, stammen die jetzigen Dolmetscher 6 in Ägypten ab. Es wohnten aber die Jonier und Karier lange Zeit auf diesen Ländereien, welche dem Meere zu liegen, ein wenig unterhalb der Stadt Bubastis[7] , an der sogenannten Pelusischen Mündung des Nils; späterhin führte der König Amasis sie davon weg und siedelte sie nach Memphis über, wo er sie zu seiner Leibwache nahm wider die Ägypter. Nachdem aber die Ansiedelung derselben in Ägypten erfolgt war, kamen die Hellenen in Verkehr mit denselben, und daher wissen wir nun genau alles, was in Ägypten vorgegangen, von dem Könige Psammetichus an, sowie das, was später geschehen. Denn dies waren die ersten Menschen fremder Zunge, die in Ägypten angesiedelt wurden. In den Gegenden aber, aus denen sie [durch Amasis ] weggeführt wurden, waren noch bis auf meine Zeit die Walzen der Schiffe[1] und die Trümmer der Wohnungen vorhanden.




155.-156

Auf diese Weise also kam Psammetichus in den Besitz von Ägypten. Ich habe nun bereits vielfach der Orakelung in Ägypten gedacht und will jetzt noch insbesondere darüber sprechen, weil sie es verdient. Das Orakel nämlich, das in Ägypten sich befindet, ist das Heiligtum der Leto, errichtet in einer großen Stadt, bei der sogenannten Sebennytischen Mündung des Nils wenn man vom Meere aus aufwärts fährt. Die Stadt, wo das Orakel sich befindet, hat den Namen Buto, wie dies auch früher von mir angegeben worden ist[3] ; es befindet sich in derselben Stadt Buto noch ein Heiligtum des Apollo und der Artemis. Der Tempel der Leto[4] , in welchem eben das Orakel sich befindet, ist an und für sich schon groß und hat noch eine Vorhalle in der Höhe von zehn Klaftern[5] ; was mich jedoch unter allem, was ich dort sah, am meisten in Verwunderung setzte, will ich angeben. In diesem Heiligtum der Leto ist das Tempelhaus aus einem Steine gemacht, in der Höhe wie in der Länge, und jede Wand darin sich gleich; so hat jede Seite vierzig Ellen: als Decke des Gewölbes liegt ein anderer Stein darauf der ein Gesimse hat von vier Ellen.


***
156.

So war mir nun der Tempel unter dem, was in diesem Heiligtum zu sehen war, das Bewundernswürdigste, dann aber in weiter Reihe eine Insel, die Chemmis genannt wird; sie liegt in einem tiefen und breiten See[1] längs dem Heiligtum zu Buto, und nach Versicherung der Ägypter soll diese Insel eine schwimmende sein. Ich selbst sah sie zwar nicht schwimmend oder in irgend einer Bewegung, ich bin aber erstaunt, wenn ich davon höre, ob es in Wahrheit eine schwimmende Insel giebt. Auf dieser nun befindet sich ein großer Tempel des Apollo, und drei Altäre sind dort errichtet; auch sind auf derselben zahlreiche Palmen gepflanzt und viele andere Bäume, fruchtbare wie unfruchtbare. Warum aber die Insel schwimmend ist, darüber erzählen die Ägypter folgende Sage: Auf dieser Insel, die vorher nicht schwimmend war, habe Leto, die zu den acht Göttern der ersten Ordnung gehört[3] und in der Stadt Buto wo sie das Orakel hat, wohnte, den Apollo von der Isis aufzubewahren bekommen und ihn auch gerettet, indem sie ihn verborgen habe auf der jetzt sogenannten schwimmenden Insel, als nämlich Typhon, alles durchsuchend, dahin gekommen war, in der Absicht, den Sohn des Osiris aufzufinden. Nun aber sind Apollo und Artemis, nach Angabe der Ägypter, Kinder des Dionnsos und der Isis[4] , und Leto soll ihre Amme und Erretterin gewesen sein. Es heißt Apollo auf ägyptisch Horus, Demeter Isis und Artemis Bubastis.[5] Aus dieser Sage und keiner anderen hat Äschylus, des Euphorion Sohn, allerdings der einzige unter allen früheren Dichtern, das entnommen, was ich sagen will: er hat nämlich die Artemis zur Tochter der Demeter gemacht.[1] Deswegen also wäre die Insel schwimmend geworden Also erzählen sie dies.




157.

Psammetichus herrschte über Ägypten vierundfünfzig Jahre[2] ; von diesen lag er neunundzwanzig vor Azotus[3] , einer großen syrischen Stadt, und belagerte dieselbe, bis er sie einnahm. Dieses Azotus hielt unter allen Städten, die wir kennen, die längste Belagerung aus.



158.

Des Psammetichus Sohn war Nekos[4] , und ward derselbe König von Ägypten. Er legte zuerst Hand an den Kanal, der in das Rote Meer führt und den Darius dann weiter fort graben ließ[5] ; seine Länge beträgt eine Fahrt von vier Tagen; er ist aber so breit gegraben, daß zwei Trieren[1] zugleich auf demselben [mit ihren Rudern]fahren können. Das Wasser ist in denselben aus dem Nil geleitet, und zwar ist es abgeleitet ein wenig oberhalb der Stadt Bubastis[2] , bei der arabischen Stadt Patumos, und läuft dann in das Rote Meer hinein. Anfangs geht der Kanal durch die nach Arabien zugekehrten Teile der ägyptischen Ebene; oberhalb an diese Ebene stößt das bei der Stadt Memphis sich hinziehende Gebirge[3] , in welchem die Steinbrüche sich befinden. An dem Fuße dieses Gebirges also ist der Kanal von Westen in einer langen Strecke nach Osten geführt, dann zieht er sich in Schluchten und läuft von dem Gebirge nach Südwesten hin in den Arabischen Meerbusen. Da, wo der geringste und kürzeste Weg ist von dem nördlichen Meere[4] zum Übergang in das südliche, das auch das Rote Meer heißt, von dem Kasischen Gebirge[5] an, welches Ägypten und Syrien trennt, sind es gerade tausend Stadien[1] zu dem Arabischen Meerbusen. Es ist dies der kürzeste Weg, der Kanal aber ist viel länger, weil er viele Krümmungen hat; bei dem Graben desselben unter König Nekos gingen hundertundzwanzigtausend Ägypter zu Grunde. Und doch hatte Nekos mitten in der Arbeit aufgehört, weil ihm ein Orakelspruch in den Weg trat, der ihm sagte, er arbeite nur zum voraus für den Barbaren; mit diesem Ausdruck bezeichnen die Ägypter[2] alle, welche nicht die gleiche Sprache mit ihnen reden.



159.

Nachdem Nekos darauf von dem Bau des Kanals abgelassen hatte, wendete er sich Kriegszügen zu: er ließ Trieren bauen teils an dem nördlichen Meere, teils in dem Arabischen Meerbusen an dem Roten Meere, wovon die Walzen noch jetzt sichtbar sind. Und während er diese Schiffe da, wo es nötig war, gebrauchte, geriet er zu Lande mit den Syrern zusammen und besiegte sie bei Magdolus[3] ; nach der Schlacht nahm er Kadytis, das eine große Stadt in Syrien ist, ein. Das Kleid aber, in welchem er diese Thaten vollführt hatte, weihte er dem Apollo[1] und sendete es zu den Branchiden [in Didyma] bei Milet.[2] Hernach starb er, nach einer Regierung von im ganzen sechzehn Jahren[3] , und hinterließ seinem Sohne Psammis die Herrschaft.



160.

Während dieser Psammis König von Ägypten war, kamen Gesandte der Eleer, die sich rühmten, sie hätten das Kampfspiel zu Olympia auf die gerechteste und schönste Weise unter allen Menschen eingerichtet, und wären deshalb der Meinung, es hätten selbst die Ägypter, die weisesten unter den Menschen, nichts im Vergleich dazu erfinden können.[4] Als nun die Eleer in Ägypten angekommen waren und angegeben hatten, weshalb sie gekommen, so berief dieser König diejenigen Ägypter zusammen, welche für die weisesten galten; die Ägypter, nachdem sie zusammengekommen waren, befragten dann die Eleer, welche alles, was ihnen bei dem Kampfe zu thun obliegt, angaben, und nachdem sie alles erzählt, erklärten, sie wären gekommen, um zu erfahren, ob die Ägypter etwas Gerechteres als dieses aufzufinden im stande wären. Diese pflogen darauf miteinander Rat und stellten dann an die Eleer die Frage, ob ihre eigenen Mitbürger an dem Kampfe Anteil nähmen. Die Eleer bejahten dies, mit der Versicherung, daß es ebensowohl ihren Mitbürgern, wie in gleicher Weise einem jeden anderen Hellenen, der da wolle, erlaubt sei, an dem Kampfe Anteil zu nehmen. Da erwiderten die Ägypter, mit dieser Einrichtung hätten sie alles, was gerecht sei, verfehlt; denn das sei doch nicht anders möglich, als daß sie auf der Seite ihres am Kampfe teilnehmenden Mitbürgers stehen und dem Fremden unrecht thun müßten. Wenn sie also das Kampfspiel auf eine gerechte Weise einrichten wollten und deswegen etwa nach Ägypten gekommen wären, so müßten sie nach ihrer Überzeugung den Kampf für fremde Kämpfer einrichten und dürften keinen Eleer um Kampfspiel zulassen. Diesen Rat erteilten die Ägypter den Eleern.



161.

Als Psammis nur sechs Jahre 1 über Ägypten geherrscht und bald nach einem Feldzuge gegen Äthiopien gestorben war, folgte Apries[2] , des Psammis Sohn, welcher nach seinem Großvater Psammetichus der glücklichste war unter den früheren Königen, während einer Regierung von fünfundzwanzig Jahren, in denen er gegen Sidon ein Heer führte und mit dem König von Tyrus zur See stritt. Da es ihm aber durchaus schlimm ergehen sollte, so kam es auch dazu aus einer Veranlassung, die ich in den libyschen Geschichten[3] ausführlicher erzählen werde, für jetzt aber nur kurz berühre. Apries nämlich entsendete ein Heer wider die Kyrenäer, erlitt aber eine große Niederlage. Die Ägypter warfen auf ihn die Schuld und fielen von ihm ab, weil sie glaubten, Apries habe ans Absicht sie in offenbares Verderben dahin geschickt, damit sie dabei zu Grunde gingen und er desto sicherer über die übrigen Ägypter herrschen könne; Darum nahmen sie es so übel, sowohl die, welche zurückgekehrt waren, als die Freunde der Umgekommenen, und fielen sofort ab.



162.-163

Als dies Apries erfuhr, sendete er zu ihnen den Amasis, um sie durch Zureden zur Ruhe zu bringen. Dieser war kaum an gekommen und suchte die Ägypter von ihrem Vorhaben abzudringen, indem er sie aufforderte, so etwas nicht zu thun, so setzte einer von den Ägyptern, welcher hinter ihm stand, ihm einen Helm auf, und indem er ihm denselben aufsetzte, erklärte er, dies gethan zu haben in der Absicht, ihn damit als König zu bezeichnen. Und es war diese That dem Amasis gar nicht so zuwider, wie sich bald zeigte. Denn als die abgefallenen Ägypter ihn darauf zum König eingesetzt hatten. rüstete er sich, um wider Apries zu ziehen. Als Apries dies vernahm, schickte er zu Amasis einen angesehenen Mann von den Ägyptern, welche um ihn waren, Patarbemis mit Namen, und trug ihm auf, den Amasis lebendig zu ihm zu bringen. Wie nun Patarbemis kam und den Amasis rufen ließ, so erhob sich Amasis, der gerade zu Pferde saß, und ließ einen Wind gehen; diesen, sprach er, solle Patarbemis dem Apries bringen. Demungeachtet forderte Patarbemis ihn auf, zum Könige zu gehen, der ihn zu sich beschieden; Amasis aber gab ihm zur Antwort, er rüste sich schon längst, dies zu thun, und Apries werde sich nicht über ihn zu beschweren haben: denn er werde nicht bloß selbst kommen, sondern auch noch andere mitbringen. Als Patarbemis aus diesen Worten die Absicht [des Amasis] erkannte und zugleich die 'Rüstungen desselben bemerkte. so beeilte er sich zurückzukehren, um dem König schleunigst Kunde zu geben von dem, was vorgehe. Wie er aber zu Apries kam, ohne den Amasis mitzubringen, besann sich Apries gar nicht weiter, sondern ließ ihm in seinem Zorn Ohren und Nase abschneiden. Als die übrigen Ägypter, die noch auf seiner Seite waren, sahen, daß er einen hochgeachteten Mann von ihnen so schimpflich behandelte, fielen sie sofort, ohne weitere Zeit zu verlieren, von ihm ab zu den anderen und ergaben sich dem Amasis.


***
163.

Als Apries auch dies vernommen hatte, rüstete er seine Hilfstruppen und führte sie gegen die Ägypter; er hatte nämlich um sich Karer und Jonier[1] als Hilfstruppen, dreißigtausend Mann; seine königliche Burg war in der Stadt Sais, groß und sehenswert. Und es rückten die Leute des Apries wider die Ägypter, und die des Amasis wider die Fremden; bei der Stadt Momemphis[2] trafen sich beide und wollten miteinander den Kampf versuchen.




164.

Es giebt aber sieben Kasten[3] der Ägypter: von diesen heißen die einen Priester, die anderen die Krieger, die Rinderhirten, die Schweinehirten, die Händler, die Dolmetscher, die Schiffsleute: so viele Klassen der Ägypter sind es, und werden dieselben nach ihren Gewerben benannt. Die Krieger unter ihnen heißen Kalasirier und Hermotybier und sind aus folgenden Gauen, denn ganz Ägypten ist in einzelne Gaue[1] eingeteilt.



165.-168

Die Hermotybier haben folgende Gaue: den Gau von Busiris, Sais, Ehemmis, Papremis, die sogenannte Insel Prosopitis, und Natho[2] zur Hälfte. Aus diesen Gauen sind die Hermotybier, deren Anzahl, als sie auf das höchste kamen, hundertsechzigtausend betrug. Von diesen versteht keiner ein Handwerk, sondern sie sind zum Kriegsdienste bestimmt.


***
166.

Die Kalasirier haben folgende andere Gaue[1] : den Gau von Theben, Bubastis, Aphthis, Tanis, Mendes, Sedennys, Athribis, Pharbaïthus, Thmuis, Onuphis, Anysis, Myekphoris; letzterer Gau liegt auf einer Insel, gegenüber der Stadt Bubastis. Dies sind die Gaue der Kalasirier, deren Zahl, als sie auf das höchste stieg, zweihundertfünfzigtausend betrug. Auch diese dürfen kein Gewerbe treiben, sondern beschäftigen sich bloß mit dem, was zum Kriege gehört, und geht dies immer vom Vater auf den Sohn über.



***
167.

Ob nun auch dieses die Hellenen von den Ägyptern angenommen, kann ich nicht mit Bestimmtheit beurteilen, da ich sehe, daß auch Thrakier, Skythen, Perser, Lydier und fast alle Barbaren diejenigen ihrer Mitbürger, welche Gewerbe lernen, sowie deren Nachkommen, für weniger geachtet halten als die übrigen, während diejenigen, welche sich von Handwerken fern halten, für edler gelten, insbesondere diejenigen, welche sich bloß kriegerischen Beschäftigungen widmen. Es haben dies nun alle Hellenen angenommen, insbesondere die Lakedämonier; am wenigsten verachtet sind die Handwerker bei den Korinthiern. 1



***
168.

Es hatten aber die Krieger allein unter den Ägyptern mit Ausnahme der Priester, folgende Vorrechte[2] : ein jeder erhält zwölf ausgewählte steuerfreie Felder, von welchen jedes hundert Ellen nach allen Seiten hin hat[3] ; die ägyptische Elle aber ist gerade gleich der samischen.[4] Diese Vorrechte haben also alle; folgendes aber genossen sie abwechselnd und niemals dieselben. Tausend Kalasirier und ebensoviele Hermotybier bildeten im Jahre die Leibwache des Königs; diese erhielten außer den Feldern noch weiter auf jeden Tag an Brot fünf Minen an Gewicht[5] ein jeder, zwei Minen Rindfleisch und vier Gelten Wein. Dieses wurde der jedesmaligen Leibwache verabfolgt.




169.

Als nun Apries mit seinen Hilfstruppen und Amasis mit sämtlichen Ägyptern bei der Stadt Momemphis[1] ankamen, stießen sie auf einander, und es stritten die Fremden zwar tapfer, wurden aber, weil sie an Zahl weit geringer waren, deshalb geschlagen. Apries aber war, wie man erzählt, der Meinung, auch kein Gott könne ihn von seiner Herrschaft stürzen: so fest glaubte er auf seinem Throne zu sitzen. Allein in dem damaligen Kampfe ward er besiegt und lebend als Gefangener in die Stadt Sais gebracht, in seine eigene frühere Wohnung, die nun die Residenz des Amasis geworden war. Hier ward er eine Zeitlang in der Residenz unterhalten, und Amasis behandelte ihn ganz gut. Zuletzt aber beschwerten sich die Ägypter und meinten, er thue Unrecht, seinen und ihrer aller ärgsten Feind zu unterhalten; so nun überließ er den Apries den Ägyptern, welche ihn erstickten[2] und dann in dem väterlichen Grabe beerdigten, welches in dem Heiligtum der Athene[3] sich befindet, ganz nahe dem innersten Raume des Tempels, beim Eingang linker Hand. Die Saïten haben nämlich alle die Könige, welche aus diesem Gau sind, inwendig in dem Heiligtum bestattet. Daher befindet sich auch das Grabmal des Amasis dort, und etwas weiter weg von dem innersten Raume, als das Grab des Apries und seiner Vorfahren; jedoch befindet sich auch dieses noch in dem Hofe des Heiligtums, nämlich eine große Halle von Stein, geschmückt mit Säulen, welche wie Palmbäume aussehen, und anderen kostbaren Dingen. Innerhalb dieser Halle stehen [einander gegenüber] zwei Portale mit Flügelthüren, und innerhalb der Thüren befindet sich der Sarg.



170.-171

Es ist aber auch das Grab eines, dessen Namen bei einer solchen Gelegenheit zu nennen mir nicht erlaubt ist[4] , zu Sais in dem Heiligtum der Athene, hinter dem Tempel, und stößt an die ganze Wand desselben; in dem heiligen Raume stehen große Obelisken von Stein, und daran stößt ein See[1] , der mit einer steinernen Einfassung geschmückt und ringsherum wohl gearbeitet ist, an Größe, wie es mir schien, gleich dem sogenannten kreisförmigen See zu Delos.[2]


***
171.

An diesem See stellen sie zur Nachtzeit die Leiden des Gottes[3] dar, und das nennen sie die ägyptischen Mysterien,; indessen darüber soll, obwohl ich ein mehreres davon weiß, wie es sich damit verhält, Schweigen beobachtet werden. Auch über das Fest der Demeter, das die Griechen Thesmophorien[4] nennen, auch darüber soll von mir Schweigen beobachtet werden, und kann ich nur so viel sagen als erlaubt ist. Dieses Fest haben des Danaos Töchter aus Ägypten eingeführt und die pelasgischen Frauen gelehrt, nachher aber, als die ganze Bevölkerung des Peloponnes durch die Dorier vertrieben ward, ging auch das Fest unter; die zurückgebliebenen Peloponnesier und die nicht vertriebenen Arkadier waren die einzigen, die es bewahrten.




172.-174

Als Apries auf diese Weise gestürzt war, herrschte Amasis 1 , der aus dem Gau von Sais war; die Stadt, aus der er war, hat den Namen Siuph. 2 Anfangs nun zeigten die Ägypter gegen den Amasis Geringschätzung und hielten ihn keineswegs in besonderer Ehre, weil er ein Mann des Volkes war und aus keiner angesehenen Familie; später aber gewann sie Amasis durch Klugheit, nicht durch thörichten Stolz. Unter anderen unzähligen Schätzen, die er besaß, befand sich auch ein goldenes Fußbecken, in welchem er selbst, sowie alle seine Gäste jedesmal sich wuschen[3] ; dieses ließ er zerschlagen und daraus ein Götterbild machen, das er an dem geeignetsten Platze der Stadt aufstellte. Die Ägypter aber gingen zu dem Bilde und erwiesen ihm große Verehrung. Wie nun Amasis erfuhr, was von den Bürgern geübt wurde, rief er die Ägypter zusammen und setzte ihnen auseinander, wie aus dem Fußbecken, in welches früher die Ägypter gespuckt und gepißt und in dem sie die Füße abgewaschen, ein Götterbild geworden, dem sie nun große Verehrung erwiesen. In gleicher Weise, wie mit dem Fußbecken, fuhr er dann fort, sei es mit ihm gegangen. Denn wenn er früher ein gemeiner Mann gewesen, so sei er jetzt ihr König; und damit forderte er sie auf, ihm alle Ehre und Rücksicht zu erweisen. Auf solche Art gewann er sich die Ägypter, so daß sie es für recht hielten, ihm unterthan zu sein.


***
173.

In seinen Geschäften traf er folgende Einrichtung: des Morgens frühe, bis zu der Zeit, wo der Markt voll ist[4] , besorgte er mit allem Eifer die vorkommenden Geschäfte; von da an aber zechte er und trieb seinen Scherz mit denen. die mit ihm zechten; er gab sich einem leichtfertigen, bloß dem Scherz zugewendeten Leben hin. Darüber bekümmerten sich seine Freunde und ermahnten ihn mit folgenden Worten: "O König, du benimmst dich nicht recht in deiner Stellung, indem du dich in ein so nichtiges Treiben stürzest; denn du sollst ehrwürdig auf einem ehrwürdigen Throne sitzen und den Tag hindurch die Geschäfte besorgen; dann würden auch die Ägypter wissen, daß sie von einem großen Manne beherrscht werden, und du würdest in einem besseren Rufe stehen, während du jetzt durch aus nicht thust, was einem Könige ziemt." Er aber erwiderte ihnen mit folgendem: "Wer einen Bogen besitzt, der spannt ihn, wenn er ihn gebrauchen muß, und wenn er ihn gebraucht hat, spannt er ihn ab. Denn wenn der Bogen alle Zeit gespannt wäre, so würde er zerbersten, so daß man ihn da, wo man ihn nötig hätte, nicht gebrauchen könnte. Gerade so verhält es sich mit der Natur des Menschen: wenn er stets mit ernsten Dingen beschäftigt sein und nicht bisweilen dem Scherze sich hingeben wollte, so würde er, ohne es zu merken, entweder ein Narr werden, oder vom Schlag getroffen werden; dies weiß ich, und darum weise ich einem jeden sein Teil zu." Dieses gab er den Freunden zur Antwort.



***
174.

Es soll aber Amasis auch zu der Zeit; wo er noch ein Privatmann war, dem Trunke ergeben, Scherze geliebt und keineswegs ein Mann ernsten Strebens gewesen sein; wenn ihm nun bei seinem Trinken und bei seinem Wohlleben die Mittel ausgingen, so ging er herum und stahl gelegentlich. Und wenn die Bestohlenen behaupteten, er habe ihre Sachen, und ihn auf sein Leugnen zu einem Orakel führten, wo sie gerade das ihrige hatten, wurde er zwar manchmal von den Orakeln überführt, manchmal aber kam er auch los. Als er nun König geworden war, that er folgendes; für die Tempel der Götter, die ihn freigesprochen hatten vom Diebstahl, trug er keine Sorge, noch gab er irgend etwas zu ihrer Herstellung, noch besuchte er sie, um ein Opfer zu bringen, weil sie nichts weit seien und ihre Orakel trügerisch; für diejenigen aber, welche ihn des Diebstahls überführt hatten, zeigte er große Sorge, weil sie wahrhaftig Götter wären und truglose Orakel erteilten.




175.-176

In Sais erbaute [dieser König] eine bewundernswürdige Vorhalle der Athene, wobei er alle [seine Vorgänger]zu übertreten suchte in der Höhe und Größe des Baues, sowie in der Größe und Beschaffenheit der Steine; dann weiter stiftete er [als Weihgeschenke] große Kolosse und männliche[1] Sphinxe von ungemeiner Länge und ließ andere Steine von riesiger Größe zur Wiederherstellung herbeischaffen; einige derselben ließ er aus den Steinbrüchen bei Memphis dahin schaffen, die anderen, die riesig großen, aus der Stadt Elephantine[2] , die sogar eine Fahrt von zwanzig Tagen von Sais entfernt ist. Was ich aber unter allem am meisten zu bewundern finde, ist folgendes: aus der Stadt Elephantine ließ er ein aus einem einzigen Stein bestehendes Haus herbeischaffen[3] , dessen Transport drei Jahre lang währte, und waren mit der Wegführung zweitausend Arbeiter beschäftigt, und zwar sämtlich Schiffsleute.[4] Die Länge dieses Häuschens von außen beträgt einundzwanzig Ellen[5] , die Breite vierzehn[6] , die Höhe acht. Dies sind die Maße des aus einem Stein bestehenden Hauses von außen; inwendig aber beträgt die Länge achtzehn Ellen und zwanzig Finger[7] , die Breite zwölf und die Höhe fünf Ellen. Dasselbe liegt am Eingang des Tempels; denn hinein in den Tempel habe man, wie sie versicherten, darum dasselbe nicht gebracht, weil der Baumeister bei dem Fortbringen desselben über die viele Zeit, die bereits verstrichen, aufgeseufzt und des Werkes überdrüssig geworden, Amasis aber sich dies zu Herzen genommen und das Haus nicht mehr weiter habe fortschaffen lassen. Einige behaupten auch, es wäre von demselben ein Mensch erschlagen worden, einer von denen, welche es mit dem Hebel fortschaffen, und deshalb wäre es nicht weitergezogen worden.


***
176.

Auch in allen übrigen angesehenen Tempeln weihete Amasis Werke, die wegen ihrer Größe sehenswert sind, darunter zu Delphi den vor dem Tempel des Hephästos rücklings stehenden[1] Koloß, dessen Länge fünfundsiebzig Fuß[2] beträgt. Auf demselben Fundament stehen noch zwei Kolosse von äthiopischem[3] Steine, von welchem ein jeder zwanzig Fuß groß ist, der eine an dieser, der andere an jener Seite des innersten Raumes. Ein anderer ebenso großer Koloß von Stein befindet sich zu Sais; er steht auf dieselbe Art da, wie der zu Memphis. Amasis ist es auch, der den Tempel der Isis zu Memphis aufgebaut hat, der ein großes und sehenswertes Gebäude ist.




177.

Zur Zeit des Königs Amasis soll Ägypten in seiner höchsten Blüte gestanden haben[4] , sowohl in dem; was dem Lande von dem Fluß, als in dem, was den Menschen aus dem Lande zu teil wird, und sollen in demselben damals in allem zwanzigtausend bewohnte Städte[5] gewesen sein. Auch hat Amasis folgendes Gesetz für die Ägypter gegeben; jeder Ägypter musste in jedem Jahr den Vorgesetzten des Gaues[1] angeben, wovon er lebe; wer das nicht that und keinen rechtlichen Lebensunterhalt nachwies, ward mit dem Tode bestraft. Dieses Gesetz[2] hat der Athener Solon aus Ägypten genommen und den Athenern gegeben, bei welchen dasselbe, da es ein untadelhaftes ist, fortwährend im Gebrauch ist.



178.-179

Amasis liebte auch die Hellenen sehr und erwies manchen von ihnen Wohlthaten; unter anderem übergab er auch denen, die nach Ägypten gekommen waren, die Stadt Naukratis[3] zur Niederlassung, und denen, die nicht darin wohnen wollten, aber dahin Schiffahrt trieben, gab er Plätze, um darauf Altäre und Heiligtümer ihren Göttern zu errichten; das größte nun unter diesen Heiligtümern, das namhafteste und am meisten benutzte, welches das hellenische heißt, haben folgende Städte gemeinsam errichtet: von den Ioniern Chios, Teos, Phokäa und Klazomenä[4] ; von den Doriern[5] Rhodos, Knidos, Halikarnassos und Phaselis; von den Äoliern[6] das einzige Mitylene; diesen also gehört dies Heiligtum, und diese Städte sind es auch, welche Vorsteher des Handels[1] daselbst bestellen. Alle anderen Städte aber, welche daran teilhaben wollen, haben in Wirklichkeit gar keinen Teil daran, ausgenommen die Ägineten, welche für sich ein eigenes Heiligtum des Zeus errichtet haben, sowie die Samier ein anderes der Here und die Milesier eines dem Apollo.


***
179.

Vor alters war Naukratis der einzige Handelsort, und sonst keiner in Ägypten; kam jemand an eine andere Mündung des Nils, so mußte er schwören, daß er unabsichtlich dahin gekommen, und ebenso eidlich versichern, daß er mitsamt dem Schiffe zu der Kanobischen Mündung fahren wolle; oder, wenn es nicht möglich war dahin zu fahren wegen der Gegenwinde, so mußten die Waren auf Kähnen um das Delta herumgefahren werden, bis sie nach Naukratis gelangten. In solchem Ansehen stand Naukratis.




180.

Als daher die Amphiktyonen den Bau des jetzt zu Delphi stehenden Tempels um dreihundert Talente verdungen hatten (der frühere Tempel war nämlich von selbst abgebrannt[2] ) und die Delphier den vierten Teil der bedungenen Summe leisten sollten, brachten diese nicht den geringsten Teil [der Summe] aus Ägypten zusammen, wo sie umherzogen in den Städten und Gaben zu diesem Zweck einsammelten; Amasis nämlich gab ihnen tausend Talente Alaun[3] und die in Ägypten wohnenden Hellenen zwanzig Minen[4] [Silber ].



181.

Mit den Kyrenäern schloß Amasis Freundschaft und Bundesgenossenschaft ab; ja, er wollte sogar von dort eine Frau sich nehmen, sei es, daß ihn nach einem hellenischen Weibe gelüstete, oder überhaupt wegen der Freundschaft mit den Kyrenäern. So heiratete er nun nach den einen eine Töchter des Battos, nach den anderen des Arkesilaos, nach den anderen des Kritobulos, eines angesehenen Bürgers daselbst, und war ihr Name Ladike. So oft aber Amasis mit ihr sich niederlegen wollte, war er nicht im stande, mit ihr sich zu verbinden, während er mit seinen übrigen Weibern Umgang pflegte. Als dies nun so fortging, sprach Amasis zu dieser Ladike: "Weib, du hast Zaubermittel gegen mich angewendet, und darum kannst du nicht dem entgehen, daß du des schmählichsten Todes unter allen Weibern stirbst." Ladike stellte dies in Abrede, allein Amasis ließ sich nicht beschwichtigen; da gelobte sie in ihrem Sinn der Aphrodite, wenn Amasis in jener Nacht sich mit ihr verbinde (denn dies vermöge allein von ihr das Unglück abzuwenden), so wolle sie ihr ein Standbild nach Kyrene senden. Nach diesem Gelübde verband sich Amasis mit ihr, und von nun an, so oft er zu ihr kam, that er desgleichen und liebte sie hernach ungemein. Ladike aber entrichtete der Göttin ihr Gelübde; sie ließ nämlich ein Standbild verfertigen, das sie nach Kyrene schickte, wo es noch bis zu meiner Zeit unversehrt stand, errichtet außerhalb der Stadt Kyrene. Diese Ladike schickte Kambyses, als er sich Ägyptens bemächtigt und gehört hatte, wer sie wäre, wohlbehalten nach Kyrene zurück.



182.

Auch nach griechischen Landen weihte Amasis allerlei Weihgeschenke, so nach Kyrene eine vergoldete Statue der Athene und sein eigenes gemaltes Bild; dann der Athene zu Lindos zwei Statuen von Stein und einen linnenen sehenswerten Brustharnisch, nach Samos der Here zwei Bilder von ihm selbst aus Holz, welche in dem großen Tempel noch bis auf meine Zeit hinter den Thüren standen. Nach Samos weihte er diese Geschenke wegen der Gastfreundschaft zwischen ihm und Polykrates, dem Sohne des Äakes, nach Lindos aber um keiner Gastfreundschaft willen, sondern weil das Heiligtum der Athene zu Lindos die Töchter des Danaos errichtet haben sollen, als sie dort auf ihrer Flucht vor den Söhnen des Ägyptos landeten. Diese Gabe weihte Amasis. Er ist auch der erste unter allen, welcher Cypern eroberte und zur Entrichtung eines Tributes unterwarf.[1]